Das Buch der Geister

- 13 - Vorstellungen, Neigungen und Absonderlichkeiten, die ihnen auf Erden zu eigen waren. Dies ist auch eine Möglichkeit des Wiedererkennens. Überhaupt die beste Möglichkeit ist die der Analogie, des Vergleichens. Schriftsteller und Gelehrte, die ihr eigenes Schaffen erörtern und Stellen aus eigenen Werken zitieren, sind bereits legitimiert, ebenso andere Geister, die unbekannte oder nur wenig bekannte Umstände ihres Lebens und Todes darlegen können. Kann man die Identität eines Geistes wenigstens bis zu einem gewissen Grade feststellen, hat man keinen Grund, weitere Angaben anzuzweifeln. Hier muß man schon etwas Fingerspitzengefühl haben. Personen oder Geister früherer Zeit werden immer gewisse Charakteristiken an sich haben, sei es in der Sprache, der Moral oder dem Wissen. Geister, die sich mit hochtrabenden Namen vorstellen und entgegengesetzte Qualitäten zeigen, entlarven sich selbst schon von vornherein. Die Erfahrung lehrt, daß Geister gleicher Stufe, gleichen Charakters und gleicher Gefühle sich meist zu Gruppen und geistigen Familien zusammenschließen, denn Gleiches zieht Gleiches an. Wenn wir daher einen bestimmten Geist anrufen, kann es vorkommen, daß nicht er selbst, sondern ein Mitglied seiner Gruppe oder Familie kommt, denn auch ein Geist kann eine Vertretung benötigen. Es ist dann genauso, als ob der angerufene Geist persönlich gekommen wäre. Der Name, unter dem sich ein Geist zu erkennen gibt, ist völlig gleichgültig. Meist ist er nur ein Behelf, um unseren Ideen einen gewissen Halt zu geben. Anders liegt natürlich der Fall beim Anrufen uns innigst verbundener Geister, die wir ohnehin rein gefühlsmäßig erkennen werden und deren Iden- tität durch offen zutage liegende Beweismittel erbracht ist. Zugegeben, daß die Stellvertretung von Geistern eine Menge Nachteile mit sich bringt: Irrtümer, Foppereien usw. Mit dieser Schwierigkeit muß man fertig werden. Wir haben aber auch nie behauptet, daß diese Wissenschaft etwas Leichtes wäre oder man sie spielend erlernen könnte. Wir können es nicht oft genug wiederholen: Sie verlangt ein ausdauerndes, oft sehr langwieriges Studium. Da man geistige Tatsachen nicht selbst hervorrufen kann, muß man Geduld haben, bis sie sich von selbst ein- stellen. Sie kommen oft unter Umständen, an welche man am wenigsten denkt. Wir nehmen Anlaß, noch eine andere Schwierigkeit zu erwähnen, die verschiedene Ausdrucksweise der Geister. Wir haben hier das genaue Gegenstück zur irdischen Welt. Jeder Mensch spricht und schreibt entsprechend seinem irdischen Range und seiner Bildungsstufe, und dieser Stufe gemäß ist auch sein Wissen und Können. Zwischen dem Unwissenden und dem Gelehrten gibt es viele Stufen und Abstufungen, und auch Gelehrte haben die verschiedensten Ansichten über einen Punkt oder ein Thema, auf Erden wie in der Geisterwelt. Oft sind gegenseitige Widersprüche gar nicht einmal begründet, wenn sie in ihrer Definition voneinander abweichen, aber es vertritt eben jeder Geist seinen eigenen Standpunkt, beleuchtet eine Sache von seinem eigenen Gesichtspunkte her. Höhere Geister haften hier keineswegs an Formen der Darstellung. Für sie ist der Kern des Gedankens alles. Definie- ren wir zum Beispiel die "Seele", als Wort gedacht. Da dies Wort keine bestimmt festgesetzte Bedeutung hat, können die Geister natürlich ebensogut wie wir verschiedene Darstellungen geben. Vielleicht sagt der eine, die Seele sei das Prinzip des Lebens, dagegen der andere, sie sei der lebensentfachende Funke, der dritte bezeichnet sie als etwas Innerliches, der vierte als etwas Äußerli- ches. Jeder wird von seinem persönlichen Standpunkte aus recht haben. Genauso steht es mit der Definition des Begriffes "Gott": Er ist das Prinzip aller Dinge, der Schöpfer des Weltalls, das Unend- liche, die höchste Vernunft, der Große Geist usw. Jede Darlegung ist richtig. Hören wir also auf, Dingen, die lediglich auf Übereinkunft beruhen, mehr Wichtigkeit beizumessen, als sie verdienen, und halten wir uns an das wahrhaft Wesentliche. Nachdenken wird uns bald eine Analogie finden lassen, die uns beim ersten Hinblick entgangen war. Manche Skeptiker stoßen sich an der mangelnden Orthographie der Geister. Da könnten wir sogleich die zahlreichen Verstöße der irdischen Gelehrten in dieser Hinsicht entgegenhalten. Tun sie seinem Verdienste Abbruch? Aber eine weit wichtigere Feststellung drängt sich hier auf: Geistern, namentlich höheren, ist die Idee alles, die Form aber nichts. Befreit von der Materie ist ihr gegenseitiges Sprechen blitzschnell wie ein Gedanke, denn der Gedanke teilt sich ihnen ohne Vermittlung der Sprache mit. Sich uns mitzuteilen sind sie genötigt, sich langer, umständlicher Formen menschlicher Sprachweise zu bedienen und das Unvollkommene und Unzureichende dieser Sprache für ihre Gedanken und Ideen zu empfinden. Da ist es wohl begreiflich, daß die Geister auf das völlig unwesentliche einer Recht-

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