Das Buch der Geister

- 150 - Frage: (843) War die Todesstrafe nicht früher eine Notwendigkeit? Antwort: "Notwendigkeit" ist nicht das rechte Wort. Der Mensch hält stets etwas für notwendig, wenn er nichts Besseres findet. Aber je mehr er fortschreitet, desto besser erkennt er, was gerecht und was ungerecht ist und verwirft dann die in Zeiten der Unwissenheit begange- nen Ausschreitungen. Frage: (844) Bedeutet die Beschränkung der Zahl mit Todesstrafe belegter Verbrechen einen Fortschritt in der Zivilisation? Antwort: Kannst du zweifeln? Sträubt sich dein Geist nicht bei den Berichten über die Menschen- schlächtereien, die einst im Namen der Gerechtigkeit und zur größeren "Ehre" Gottes vorgenommen wurden? Aber hättest du zu jener Zeit gelebt, auch du hättest alles ganz natürlich gefunden und hättest als Richter genau das Gleiche getan. Was zu einer Zeit als gerecht erschien, ist für die andere Zeit barbarisch. Die göttlichen Gesetze allein sind ewig. Frage: (845) Jesus hat gesagt: "Wer mit dem Schwerte getötet hat, wird durch das Schwert umkommen." Sind diese Worte nicht eine Bestätigung des Rechts der Wiedervergeltung? Antwort: Ihr mißversteht diese Worte wie so manche andere. Das Wiedervergeltungsrecht ist die Gerechtigkeit Gottes. Nur Er ist es, der davon Gebrauch macht. Ihr alle erleidet mit jedem Augenblick diese Strafe, denn ihr werdet mit dem gestraft, worin ihr gesündigt habt, in diesem oder einem früheren Leben. Wer andere Menschen leiden ließ, wird in eine Lage versetzt werden, wo er selbst das zu leiden hat, was andere durch ihn litten. Das ist der Sinn der Worte Jesu. Hat er euch nicht auch gesagt "Vergebet euren Feinden"? Lehrte er euch nicht auch, Gott zu bitten: "Vergib uns unsere Schuld wie auch wir vergeben unseren Schuldigern"?, d. h. in dem Maße, wie ihr vergebt, wird euch wieder vergeben werden. Versteht das wohl! Frage: (846) Was ist von der im Namen Gottes ausgesprochenen Todesstrafe zu halten? Antwort: Das heißt, sich in der Gerechtigkeit an Gottes Stelle setzen. Die Todesstrafe ist ein Verbrechen, wenn sie im Namen Gottes verhängt wird, und jene, die sie aussprechen, sind derselben als ebenso vieler Morde schuldig. Das Gesetz der Gesellschaft Frage: (847) Liegt das gesellige Leben in der Natur? Antwort: Gewiß, Gott schuf den Menschen zu einem geselligen Wesen. Er gab ihm nicht unnützer Weise die Sprache und alle zum geselligen Leben notwendigen Eigenschaften. Frage: (848) Ist die unbedingte Vereinzelung dem Naturgesetz zuwider? Antwort: Ja, denn die Menschen suchen die Gesellschaft aus Instinkt, und alle sollen zum Fortschritt durch gegenseitige Unterstützung beitragen. Frage: (849) Folgt der Mensch, wenn er Gesellschaft aufsucht, nur einem persönlichen Gefühl oder liegt in diesem Gefühl ein besonderer Zweck der Vorsehung? Antwort: Der Mensch soll fortschreiten. Allein kann er das nicht, weil der Einzelne nicht alle Eigen- schaften dazu hat. Er bedarf der Berührung mit anderen Menschen. In der Vereinsamung vertiert und verkümmert er. Frage: (850) Man versteht, daß das gesellige Leben in der menschlichen Natur liegt. Es liegt aber auch jeder andere Geschmack darin, warum sollte wohl das Verlangen nach unbedingter Vereinzelung schlecht sein, wenn der Mensch in derselben sein Glück findet?

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