Das Buch der Geister

- 15 - können? Entweder sind sie hellsehend, oder sie sind es nicht. Sind sie es und man setzt in ihre Wahrhaftigkeit Vertrauen, so kann man nicht, ohne sich zu widersprechen, annehmen, daß sie nicht auch hier bei der Wahrheit bleiben. Wenn ferner alle Phänomene ihre Ursache im Medium hätten, so wären sie bei demselben Individuum identisch, man würde nicht beobachten, wie dieselbe Person sich einer genau entgegengesetzten Ausdrucksweise bedient oder nach und nach die widersprechendsten Dinge zum Ausdruck bringt. Dieser Mangel an Einheit in den vom Medium erlangten Manifestationen ist Beweis für die Verschiedenheit der Quellen. Man kann sie nicht im Medium finden, sondern muß sie wohl oder übel außer ihm suchen. Nach anderer Ansicht wieder ist zwar das Medium die Quelle der Manifestationen, aber anstatt sie aus sich selbst zu schöpfen, wie die Anhänger der vorhergehenden somnambulistischen Theorie es behaupten, schöpft es dieselben aus seiner unmittelbaren Umgebung. Sonach wäre das Medium gewis- sermaßen eine Art Spiegel, der alle Ideen, Gedanken und Kenntnisse der ihn umgebenden Personen reflektierte. Das Medium würde und könnte nichts sagen, was nicht wenigstens einige Personen aus der Umgebung wüßten. Man kann allerdings, und dies ist ein Prinzip der Lehre, nicht in Abrede stellen, daß die Anwesenden auf die Beschaffenheit der Geisterkundgebungen einen Einfluß ausüben. Doch dieser Einfluß ist ein ganz anderer als der vorausgesetzte, und von ihm bis zur Annahme, daß das Medium Widerspiegelung der Gedanken sein soll, ist noch ein großer Sprung. Tausend Tatsachen weisen genau auf das Gegenteil hin. Diese Menschen können die Existenz einer der Wissenschaft unbekannten Naturerscheinung nicht leugnen, doch das Vorhandensein von Geistern wollen sie nicht zugeben. Ihre Theorie wäre recht schön, wenn sie wenigstens alle Tatsachen umfaßte, aber dies ist eben nicht der Fall. Legt man ihnen unleugbar dar, daß gewisse Mitteilungen des Mediums den Gedanken oder Vorstellungen sämtlicher Anwesenden fremd sind, daß sie spontan kommen und allen vorgefaßten Ideen widersprechen, so halten sie sich bei solchen Lappalien nicht auf. Diese Ausstrah- lung, heißt es dann, erstreckt sich wahrscheinlich auch über unseren unmittelbaren Kreis hinaus. Das Medium ist der Reflex der ganzen Menschheit derart, daß es seine Inspiration eben von auswärts holt, wenn es sie nicht neben sich schöpft, aus der Umgebung etwa, aus der Stadt, irgendwo auf dem Erdball, vielleicht sogar aus anderen Sphären. Wir glauben nicht, daß man in dieser Theorie eine einfachere und wahrscheinlichere Erklärung findet als die, welche der Spiritismus selbst gibt, denn sie setzt eine noch größere, wunderbarere Ursache voraus. Die Ansicht, daß den Raum bevölkernde Wesen, die uns ständig berühren, uns auch ihre Gedanken mitteilen, enthält nichts, was der Vernunft so zuwiderläuft, als diese Annahme einer allge- meinen Ausstrahlung von allen Punkten des Weltalls her, die sich im Gehirn des Mediums konzen- trieren soll. Nochmals: Die somnambulistische Theorie ebenso wie die andere, die man die reflektive nennen könnte, sind die Gedankenschöpfungen einiger Menschen. Es sind persönliche Ansichten von Leuten, die ein Faktum erklären wollten. Die Lehre der Geister ist aber keine menschliche Gedankenschöp- fung, sie ist von jenen sich manifestierenden Intelligenzen diktiert worden, und zwar zu einer Zeit, als die allgemeine Ansicht sie noch zurückwies. Wir wollen auch noch die Frage berühren, warum Intelligenzen sich weigern, auf Fragen zu antworten, die allerseits bekannte Tatsachen oder Gegenstände berühren, wie etwa Namen und Alter des Fragenden, was er in der Hand hat, gegessen hat, den Tag zuvor getan hat, oder seine Absichten für morgen. Die Antwort auf solche Fragen wäre wohl für das Medium einfach und leicht. Doch die Gegner drehen das Argument um und fragen, warum Geister dies alles nicht wissen. Wer das Mehr kann, muß auch das Weniger können, meinen sie. Wenn aber, irdisch gesehen, ein Dummer oder Unwissender vor einem Gremium von Gelehrten fragen würde, warum es bei Tage hell ist, würden sich jene wohl die Mühe machen, ihm ernsthaft oder überhaupt zu antworten? Eben darum, weil die Geister im Wissen überlegen sind, verweigern sie Antwort auf müßige und lächerliche Fragen. Sie schweigen oder sagen, man solle sich mit ernsteren Dingen beschäftigen. Der Zweifel hinsichtlich der spiritistischen Lehre hat fast immer die gleiche Quelle, nämlich eine unvollständige Kenntnis seiner gesamten Tatsachen. Dies hindert allerdings manche Leute nicht, sich mit edler Dreistigkeit gegen ihn zu entscheiden. Man kann viel Geist haben, sehr unterrichtet sein, und trotzdem Mängel im Urteilsvermögen besitzen. Dies ist der Fall bei jenen Menschen, die sich für

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