Das Buch der Geister

- 154 - Die Gesetze der Gerechtigkeit, der Liebe und der Barmherzigkeit Frage: (968) Liegt das Gefühl der Gerechtigkeit in der Natur, oder ist es eine Folge erworbener Ideen? Antwort: Es liegt so sehr in eurer Natur, daß ihr euch bei dem Gedanken einer Ungerechtigkeit empört. Der sittliche Fortschritt entwickelt dieses Gefühl, aber er verleiht es nicht. Gott legte es in des Menschen Herz. Daher findet ihr oft bei einfachen und ursprünglichen Menschen reinere Anschauungen von der Gerechtigkeit als bei denen mit viel Wissen. Frage: (969) Wenn die Gerechtigkeit ein Naturgesetz ist, wie kommt es dann, daß sie die Menschen so verschieden verstehen und daß der eine gerecht findet, was dem anderen ungerecht erscheint? Antwort: Weil sich oft Leidenschaften hineinmischen, die dieses Gefühl wie die meisten anderen natürlichen Gefühle verunreinigen. Frage: (970) Wie läßt sich die Gerechtigkeit definieren? Antwort: Sie ist die Achtung vor den Rechten eines jeden Menschen. Frage: (971) Wodurch werden diese Rechte begründet? Antwort: Durch das menschliche und durch das natürliche Gesetz. Indem die Menschen Gesetze erließen, die ihren Sitten und ihrem Charakter entsprachen, begründeten sie Rechte, die sich mit dem Fortschritt der Bildung ändern konnten. Das von den Menschen eingeführte Recht entspricht also nicht immer der Gerechtigkeit. Frage: (972) Welches ist außerhalb des durch Menschengesetz begründeten Rechtes die Grundlage der auf dem Naturgesetz beruhenden Gerechtigkeit? Antwort: Christus sagte es euch: Für die anderen das wollen, was ihr für euch selbst wollen würdet. Gott legte in des Menschen Herz die Regel für jede wahre Gerechtigkeit mit dem in jedem Menschen lebenden Wunsche, seine Rechte geachtet zu sehen. Er konnte ihm keinen sichereren Führer geben als sein eigenes Gewissen. Frage: (973) Führt die Notwendigkeit, in Gesellschaft zu leben, für den Menschen besondere Verpflichtungen herbei? Antwort: Ja, und die erste von allen ist, die Rechte anderer zu achten. Wer dies tut, wird stets gerecht sein. Frage: (974) Da sich der Mensch über den Umfang seines Rechtes täuschen kann, wer lernt ihn seine Grenzen kennen? Antwort: Die Grenze des Rechtes, die er seinem Nächsten im Hinblick auf sich selbst unter den gleichen Umständen zuerkennt. Frage: (975) Wenn sich aber jeder die Rechte seines Nächsten zuschreibt, was wird dann aus der Unterordnung gegen den Vorgesetzten? Ist das dann nicht unbeschränkte Gesetzlosigkeit? Antwort: Die natürlichen Rechte sind für alle dieselben, vom Kleinsten bis zum Größten. Gott schuf nicht die einen aus reinerem Stoff als die anderen, und alle sind vor Ihm gleich. Diese Rechte sind ewig, jene, die der Mensch schuf, gehen mit seinen Einrichtungen zugrunde. Frage: (976) Welches wäre der Charakter desjenigen, der die Gerechtigkeit in ihrer ganzen Rein- heit ausübte? Antwort: Der echte Gerechte nach dem Beispiele Jesu. Denn er würde auch die Liebe gegen Gott und den Nächsten üben, ohne die es keine wahre Gerechtigkeit gibt.

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