Das Buch der Geister

- 158 - sein Vermögen seiner Arbeit. Beide verwenden dasselbe für eigene Bedürfnisse. Welcher ist nun der Schuldigere? Antwort: Der, der das Leiden kennenlernte. Er weiß, was Leiden heißt, er kennt den Schmerz und mildert ihn nicht. Frage: (1001) Wer unaufhörlich zusammenrafft ohne Gutes zu tun, liegt für diesen eine Entschuldigung in dem Gedanken, daß er für seine Erben zusammenraffe? Antwort: Das ist ein Abkommen mit seinem bösen Gewissen. Frage: (1002) Von zwei Geizigen versagt sich einer das Notwendigste und verhungert auf seinem Schatze, der andere ist nur gegen andere geizig, gegen sich selbst aber verschwenderisch. Welcher ist der Schuldigere und welcher wird bei euch den schlechtesten Platz einnehmen? Antwort: Der, der genießt. Er ist mehr selbstsüchtig als geizig. Der Verhungerte hat bereits einen Teil seiner Strafe gefunden. Frage: (1003) Ist es tadelnswert, andere um ihren Reichtum zu beneiden, um damit Gutes tun zu können? Antwort: Das Gefühl ist ohne Zweifel löblich, wenn es rein ist. Ist es aber wirklich immer ganz selbstlos, ohne persönlichen Hintergedanken? Frage: (1004) Ist es sträflich, die Fehler der anderen zu studieren? Antwort: Geschieht es um dieselben zu verurteilen und bekannt zu machen, so ist es sehr sträflich, denn das ist Mangel an Nächstenliebe. Geschieht es, um selbst daran zu lernen, um sie zu vermeiden, mag es zuweilen von Nutzen sein. Man darf aber nicht vergessen, daß Nach- sicht gegen die Fehler der anderen eine Tugend der Nächstenliebe ist. Frage: (1005) Ist man strafbar, wenn man die Schäden der Gesellschaft studiert und enthüllt? Antwort: Das hängt von dem Gefühle ab, das dazu antreibt. Der Geist mag zwar richtig urteilen, aber er kann für diese Art von Freude an der Enthüllung des Schlechten gestraft werden. Frage: (1006) Wie kann man sich in solchem Falle über Reinheit und Lauterkeit des Schriftstellers ein Urteil bilden? Antwort: Das ist oft nicht einmal nützlich. Schreibt er gute Sachen, so zieht daraus euren Nutzen. Schreibt er Schlechtes, ist es eine Gewissensfrage, die nur ihn allein angeht. Frage: (1007) Manche Schriftsteller schrieben den Fortschritt fördernde schöne und moralische Werke, zogen aber für sich selbst keine Folgerungen daraus. Wird ihnen als Geistern das durch ihre Werke getane Gute angerechnet? Antwort: Moral ohne Taten heißt Samen ohne Arbeit. Diese Menschen sind noch strafbarer, sie hatten Intelligenz um zu erkennen, verzichteten aber darauf, ihre Früchte zu ernten. Frage: (1008) Ist der zu tadeln, der gut handelt, sich dessen aber bewußt ist und es sich eingesteht? Antwort: Wenn er alle seine Handlungen in der Waage des göttlichen Gesetzes und in der Waage der Gerechtigkeit, der Menschen- und Nächstenliebe wägt, kann er sehen, ob sie gut oder böse waren, er wird sie dann billigen oder mißbilligen. Er ist also nicht zu tadeln, wenn er anerkennt, daß er über schlechte Neigungen siegte und sich davon befriedigt fühlt, aber er darf nicht eitel darauf werden. Frage: (1009) Ist das Prinzip der Leidenschaften, da es in der Natur liegt, an und für sich böse? Antwort: Nein. Die Leidenschaft liegt in dem mit dem Willen verbundenen Übermaß. Ihr Prinzip

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