Das Buch der Geister

- 150 - en. Es sind also nicht die Organe, die die Fähigkeiten verleihen, sondern die Fähigkeiten, die zur Entwicklung der Organe führen. Die Eigenschaften des Geistes, der mehr oder weniger fortgeschritten sein kann, sind das Prinzip. Dabei muß man aber auch dem Einfluß des Stoffes Rechnung tragen, der mehr oder weniger die Ausübung der Fähigkeiten beeinträchtigt. Inkarniert sich der Geist, bringt er gewisse Voraussetzungen mit. Wollte man für jede dieser Voraussetzungen ein Organ im Gehirn annehmen, wäre die Entwick- lung nicht eine Ursache, sondern Wirkung jener. Nehmt an, daß besondere Organe, wenn sie überhaupt existieren, allmählich entstehen und sich durch die Übung der betreffenden Fähigkeit entwickeln, und ihr werdet nichts Vernunftwidriges haben. Machen wir einen gewöhnlichen, aber geraden Vergleich: An gewissen Kennzeichen erkennt man den Trunkenbold. Machen ihn nun diese Kennzeichen dazu oder läßt seine Trunkenheit die Kennzeichen entstehen? Man kann sagen, daß die Organe die Eindrücke der Fähigkeiten aufnehmen. Frage: (398) Ist die Ansicht begründet, daß Kretinen (Schwachsinnige) und Blöde eine Seele von einer niedrigeren Natur haben? Antwort: Nein. Sie besitzen eine menschliche Seele, die oft intelligenter ist, als ihr glaubt, und die an der Unzulänglichkeit der Mittel, sich mitzuteilen, sehr leidet, wie der Stumme daran, daß er nicht sprechen kann. Frage: (399) Was ist der Zweck der Vorsehung, wenn sie solche vernachlässigte Wesen schafft? Antwort: Es sind büßende Geister, welche den Leib bewohnen. Sie leiden unter dem Zwange, unter der Unmöglichkeit, sich durch unentwickelte oder zerrüttete Organe nach außen geltend machen zu können. Frage: (400) Es ist also ungenau gesagt, daß die Organe ohne Einfluß auf die Fähigkeiten seien? Antwort: Wir sagten niemals die Organe seien ohne Einfluß. Sie haben einen sehr großen auf die Äußerung der Fähigkeiten, aber sie verleihen die letzteren nicht, das ist der Unterschied. Anmerkung: Man muß den normalen vom pathologischen Zustand unterscheiden. Im ersteren überwindet das Moralische das ihm vom Stoffe entgegengesetzte Hindernis. Es gibt aber Fälle, wo der Widerstand des Stoffes so stark ist, daß die Äußerungen behindert oder entstellt werden. Das sind krankhafte Fälle. Da die Seele in diesem Zustande nicht ihre völlige Freiheit besitzt, spricht das menschliche Gesetz sie von der Verantwortlichkeit für ihre Handlungen frei. Frage: (401) Worin kann das Verdienst des Daseins für Wesen liegen, die Kretinen oder Blöde sind, da sie weder Gutes noch Böses tun und auch nicht fortschreiten können? Antwort: Es ist eine Sühne für den Mißbrauch, den man mit gewissen Fähigkeiten getrieben hat. Es ist für den Geist eine Zeit der Haft. Frage: (402) Es kann also der Leib eines Blöden einen Geist beherbergen, der in einer früheren Existenz einen Mann von Genie beseelt hat? Antwort: Ja. Das Genie wird zuweilen zu einer Pest, wenn es mißbraucht wird. Frage: (403) Hat ein blöder Mensch im Zustande des Geistes ein Bewußtsein von seinem Seelen- zustande? Antwort: Ja, sehr häufig. Er erkennt, daß die Ketten, die sein Aufsteigen niederhalten und unter- drücken, eine Prüfung und Sühne sind. Frage: (404) Welches ist die Lage eines Geistes beim Wahnsinn? Antwort: Der Geist im Zustande der Freiheit empfängt die Eindrücke und äußert seine Einwirkung

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