Das Buch der Medien

- 4 - Allan Kardec hat nichts unter dem Eindruck vorgefaßter oder systematischer Ideen geschrieben. Kaltblütig und nüchtern hat er alle Tatsachen beobachtet und von ihnen die Gesetze abgeleitet, durch die sie bestehen. Er war der erste Theoretiker des Spiritismus und brachte ihn in ein methodisches Lehrgebäude. Indem er bewies, daß alle fälschlich als "übernatürlich" bezeichneten Tatsachen bestimmten Gesetzen unterworfen sind, reihte er sie in die Ordnung der Naturerscheinungen ein, und zerstörte so die letzten und stärksten Elemente des Aberglaubens. In den ersten Jahren ihres Auftauchens waren die spiritistischen Phänomene mehr Gegenstand der Neugierde als Objekt ernsten Nachdenkens und Forschens. Das "Buch der Geister" brachte hier neue Impulse. Es betrachtete die Sache von einem völlig neuen Gesichtspunkt aus. Da verließ man die drehenden Tische, die das Vorspiel waren, und versammelte sich um einen wissenschaftlichen Kernpunkt, der alle die Menschheit interessierenden Fragen umfaßte. Von hier an beginnt die wahre und konzentrierte Begründung des wissenschaftlichen Spiritismus, die bis dahin nur aus zerstreuten Elementen ohne Verbindung bestanden hatte. Die Lehre fesselte die Aufmerksamkeit ernster Menschen und nahm eine rasche Entwicklung. Alle Schichten der Gesellschaft in allen Ländern der Erde verhalfen der Lehre zu einem Erfolg ohnegleichen. Die Bücher Kardec's, klar und eindeutig geschrieben, frei von abstrakten Ausdrücken der Metaphysik, lassen sich mühelos lesen, was wesentlich für die Verbreitung seiner Idee ist. Seine streng logische Beweisführung bietet bei strittigen Punkten wenig Handhabe zur Widerlegung und macht den Leser für die Überzeugung empfänglich. Die materiellen Beweise, die der Spiritismus von der Existenz der Seele und vom künftigen Leben gibt, haben die Zerstörung der materialistischen und pantheistischen Weltanschauungen zur Folge. Einer der fruchtbarsten Grundsätze dieser Lehre, der sich aus dem Vorhergehenden ergibt, ist der von der Vielheit der Existenzen, die schon von einer Menge alter und moderner Philosophen vermutet worden war, doch waren diese Vermutungen Hypothese und nicht beweisbar geblieben. Der Spiritismus aber zeigt die Wirklichkeit dieser Vermutungen auf und beweist, daß die Reinkarnation eines der unerläßlichen Attribute der menschlichen Wesenheit und Sinnbild göttlicher Gerechtigkeit ist. Von diesem Prinzip leitet sich die Lösung aller scheinbaren Widersprüche des menschlichen Lebens, aller intellektuellen, moralischen und sozialen Ungleichheiten ab. Seine Tatsachen klären den Menschen darüber auf, woher er kommt, wohin er geht, zu welchem Zweck er auf der Erde ist und weshalb er leidet. Die angeborenen Ideen und Begabungen erklären sich durch die in früheren Leben erworbenen Erkenntnisse, der Kulturfortschritt einzelner Völker und der Gesamtmenschheit durch die Wiederkehr fortgeschrittener Wesen, Zuneigung und Abneigung durch die Natur der früheren Verbindungen zueinander. Die Beziehungen der großen, menschlichen Familie aller Zeiten mit den Prinzipien der Brüderlichkeit, Freiheit, Gleichheit und allgemeiner Zusammengehörigkeit: sie haben nicht mehr eine bloße Theorie, sondern die Naturgesetze selbst zur Basis! Statt des Grundsatzes "Außerhalb der Kirche kein Heil", der die Trennung und Erbitterung zwischen den einzelnen Sekten nährt und erhält, und der schon so viel Blutvergießen auf der Welt gekostet hat, erhebt der Spiritismus die Wahrheit "Außerhalb der Nächstenliebe kein Heil" zum Grundsatz, also Gleichheit unter den Menschen vor Gott, Toleranz, Gewissensfreiheit und gegenseitiges Wohlwollen! Anstelle des blinden Glaubens, der die Denkfreiheit vernichtet, sagt er: Es gibt keinen unerschütterlichen Glauben, der menschlicher Vernunft aller Zeitalter ins Auge schauen könnte. Der Glaube braucht eine Grundlage, und diese Grundlage ist die vollkommene Einsicht dessen, was man glauben soll. Um zu glauben, genügt es nicht allein zu sehen, man muß vor allem verstehen! Blinder Glaube ist nicht mehr Sache unseres Jahrhunderts, denn gerade das Dogma des blinden Glaubens erweckt heute die größte Zahl der Ungläubigen, weil er sich aufdrängen will und weil er die Hingabe, das Aufgeben einer der kostbarsten Fähigkeiten des Menschen verlangt: die Vernunft und den freien Willen. –– Allan Kardec, der unermüdliche Arbeiter und Forscher, starb am 31. März 1869 an einem Schlaganfall. Kurz vor seinem eigenen irdischen Ende sagte er noch: "Der Tod trifft augenblicklich mit doppelten Schlägen die berühmten Reihen! Wen wird er jetzt befreien ... ?" Ihn selbst traf das Schicksal. Er mußte in den unendlichen Raum, aus dem er einst kam, zurücktauchen und ging mit jenen, welche einmal als Leuchttürme der kommenden, neuen Generation zurückkommen werden.

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