Der Stern von Bethlehem

- 4 - Nach der ersten Veröffentlichung seiner Selbsterfahrungen im Sterben, die in einer medizinischen Fachzeitschrift erfolgte, erhielt der bekannte Arzt viele Zuschriften von anderen Ärzten, die Bestätigungen und Ergänzungen enthielten. Sie machten aber auch deutlich, daß bei Medizinern weitgehend ein Widerstand besteht, sich mit diesem Problem eingehend zu befassen, denn die geschilderten Sterbeerlebnisse kommen viel häufiger vor, als man das zunächst meint. Sie sind keine Ausnahmen, sondern typisch! Wendet man sich an dienstältere Krankenschwestern, hört man mehr über sie berichtet als von Ärzten. Freilich kommt dem angedeuteten ärztlichen Widerstand entgegen, daß die meisten Betroffenen einen Schleier über ihre Erlebnisse breiten, da ihnen "die Worte fehlen" und sie sich von Menschen, die nicht Ähnliches oder Gleiches erlebten, nicht verstanden fühlen, sich vor ihnen schämen als Schwärmer zu erscheinen. Um so wichtiger ist die Feststellung, daß die meisten ihm bekannten Patienten nicht tiefer religiöskirchlich gebunden waren, also sog. suggestive Einflüsse von dieser Seite nicht als wesentlicher Faktor zu berücksichtigen sind. Erst die moderne Medizin ermöglicht mehr Registrierungen des Sterbeerlebens, da immer mehr Menschen, die der Tod (bis weit ins Organische hinein) schon in den Klauen hielt, wieder ins Leben zurückgeholt werden. Das eindrücklichste Beispiel ist wohl (nach Dorozynski) der russische Nobelpreisträger Lew Landau, der mehrfach vom Tod zurückgehalten wurde. Heute werden Registrierungen des Sterbeerlebens in anderer Weise möglich als früher. Dazu gehört allerdings, daß Ärzte die Feindschaft gegen das Sterbenmüssen zurückstecken, denn man darf kaum zugeben, daß Sterbendürfen ein erstrebenswertes Ziel sei. Besonders bei jungen Ärzten kann man beobachten, wie sie auch bei sehr alten Sterbenden bis zum letzten Atemzug mit allem therapeuthischen Rüstzeug um das Am-Leben-Bleiben kämpfen - und den dann doch eintretenden Tod wie eine Beleidigung aufnehmen. Allerdings sterben auch heute noch die meisten Menschen, ohne ins Leben zurückgerufen zu werden und ohne klares Bewußtsein, manche sehr plötzlich, manche so eingeengt und abgebaut, daß das Sterbeerleben nicht auf einer Stufe vollzogen wird, die sich in Worte kleiden ließe. Ferner sorgt die Medizin dafür, daß die meisten Patienten, gerade wenn es auf das Ende zugeht, unter die stärksten Medikamente gesetzt werden. Sie sind dann ebenso wenig fähig, das Sterbeerleben bewußt zu registrieren oder gar zu schildern. Entscheidender ist die Frage: Wie weit können und dürfen Ärzte das Sterbeerleben manipulieren? - Es läge nahe, die vielen ihm bekannten Beispiele dahingehend zu interpretieren, daß sie zum Anlaß werden, möglichst viele Menschen einem ähnlichen Erleben zuzuführen. Zum Beispiel der Bericht der bekannten Sterbeforscherin Kübler-Ross. Als er damals die "Interviews mit Sterbenden" las, atmete er zunächst erleichtert auf, da hier die Verdrängung des Sterbens aufgehoben und - fast schonungslos - eine Methodik des Sterbens und der Sterbehilfe exerziert wird. Nach seinen eigenen Erfahrungen kommen ihm jedoch auch Bedenken, denn der Bericht repräsentiert nicht alle Formen des Sterbens. Zum zweiten sind fast alle Kranken der Autorin, selbst die im sog. letzten Stadium, noch so weit vom konkreten Sterben entfernt, so daß sie durchweg eine gewisse Hoffnung auf ein weiteres Leben (sei es über die Hilfe Gottes oder eines neuen Medikamentes) nicht aufgaben. Als Arzt und Wissenschaftler bemühte er sich später die Eigenerfahrung im Sterben bei sich und bei anderen sorgfältiger zu bedenken. Aufgrund seiner Anordnungen wurden an den Krankenbetten der großen Klinik Sterbeforschungsprotokolle erstellt, die aber nur intern diskutiert wurden, aber nicht für die breite Öffentlichkeit bestimmt waren. Persönlich ging es Ihm darum, daß Sterben und Tod in ihrer Realität erfaßt und angenommen werden. Denn Sterben kann, sofern es bewußt mitvollzogen wird, das größte Erlebnis sein, wonach es schwer fällt, überhaupt ins materielle Leben zurückzukehren. Die Annäherung an das Umfassende und Absolute, die in Sterbeerfahrungen geschieht, besagt zwar noch nichts über das Totsein, doch läßt es ahnen, wie alles individuelle Denken und Sein erhoben wird weit über sich selbst hinaus in etwas UNBESCHREIBLICHES. Es gibt Erlebnisse im Leben, über die zu reden oder zu schreiben man sich scheut. Daß er selbst diese Scheu im Hinblick auf seine Selbsterfahrung im Sterben überwand, verdankte er einem Kollegen, den er vor einem Jahr auf einem Fachseminar kennengelernt hatte. Seit dieser Zeit pflegen die beiden Männer ihre Bekanntschaft durch gelegentliche, gegenseitige Besuche.

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