Heroischer Kinderglaube im gottlosen Regime

- 3 - Kurz vor Weihnachten, am 17. Dezember, erfand die Lehrerin ein neues, grausames Spiel, das nach ihrer Auffassung dem alten Aberglauben, der die Schule 'verpestete', den Todesstoß versetzen sollte. Das Ereignis verdient in allen Einzelheiten wiedergegeben zu werden: Angela war natürlich wieder der Angriffspunkt. Die Lehrerin befragte sie mit süßer Stimme: "Höre, mein Kind, wenn die Eltern dich rufen, was machst du?' "Ich gehorche", erwiderte Angela schüchtern. "Gewiß, du hörst sie rufen, und du gehst rasch zu ihnen, wie ein braves folgsames Kind. Und was geschieht, wenn die Eltern den Kaminfeger rufen?" "Der kommt", antwortete Angela. Ihr Herz schlug zum Brechen; sie ahnte eine Falle, doch erkannte sie sie nicht. "Gut, mein Kind, der Kaminfeger kommt, weil er e x i s t i e r t ! " Einen Augenblick herrschte Schweigen. "Du gehst hin, weil du da bist, weil du e x i s t i e r s t ! Aber nehmen wir an, daß deine Eltern den Großvater rufen, der gestorben ist. Wird er kommen?" "Nein, ich glaube nicht." "Bravo! - Und wenn sie Rübezahl rufen? Oder Rotkäppchen? Oder den Gestiefelten Kater? Du hast Märchen gern, nicht wahr? Was geschieht dann?" "Niemand wird kommen, denn das sind Erfindungen." Angela hob ihren hellen Blick, senkte ihn aber sogleich wieder. "Ihre Augen taten mir weh", erklärte sie später dem Pater. Die Befragung ging weiter: "Sehr gut, sehr gut!" triumphierte die Lehrerin. "Wirklich, dein Denken macht Fortschritte. Ihr seht also, Kinder, daß die Lebenden, die, welche e x i s t i e r e n , auf den Ruf kommen. Jene aber kommen n i c h t , die n i c h t l e b e n oder die a u f g e h ö r t h a b e n zu leben. Ist das klar?" "Ja", antwortete die ganze Klasse. "Gut, jetzt machen wir ein kleines Experiment." Sie wandte sich an Angela. "Geh vor die Tür, mein Kind!" Das Mädchen verließ zögernd die Bank. Die Tür schloß sich schwer hinter der zarten Gestalt. "Und jetzt, Kinder, ruft sie herbei!"

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