Nachruhm

- 2 - weniges aus der Überfülle seines Geistes herausgreifen, nur andeuten, wie er unermüdlich an unzähligen Tierversuchen Beweis auf Beweis gehäuft. Es ist nicht auszudenken, welche unerhörten Perspektiven sich mit diesen völlig neuen medizinischen Tatsachen der leidenden Menschheit und der Wissenschaft als solcher eröffnet. Nur nacheifern können wir dem gewaltigen Forscher, der uns solche Wege gewiesen, und wir und die ihn bewundernde akademische Jugend, der er ein Führer zu wahrem Menschentum war, wir sollen an seiner Asche geloben, sein Lebenswerk fortzusetzen und auszubauen, zum Heile der europäischen Wissenschaft und zur Ehre unseres geliebten Vaterlandes. Es hat unserem großen Toten nicht an reicher Anerkennung gefehlt, wie wir dankbar feststellen können, auch von allerhöchster Stelle sind ihm ehrenvolle Zeichen der Huld zuteil geworden." Alle Blicke richteten sich staunend auf das Samtkissen mit den Orden, die einige Pfund wogen. "Ja, noch kurz vor seinem Tode ward ihm die Freude, zum "Wirklichen Geheimen Medizinalrat" mit dem Prädikat Exzellenz ernannt zu werden, eine Ehrung, die mit ihm auch unsere ganze Hochschule als solche empfunden hat. So reich aber sein Ruhm auch war, noch reicher wird sein Nachruhm sein für alle Zeiten, und wir, die wir ihm nachtrauern, wollen es ihm gönnen, daß er nun ruhe von seiner Arbeit, daß er auf der Asphodeloswiese lustwandele mit den großen Geistern aller Zeiten, zu denen ihn seine Werke erhoben haben, und so darf auch ich schließen mit den Worten meines geistlichen Vorredners: Und ihre Werke folgen ihnen nach!" Alle waren voller Andacht, teils vor der europäischen Wissenschaft und teils von dem Prädikat Exzellenz. Der Rektor Magnifikus hatte nur die Kleinigkeit außer acht gelassen, daß die europäische Wissenschaft die Asphodeloswiese e i n e F a b e l n e n n t und von den großen Geistern der Vergangenheit behauptet, daß sie sich i n c h e m i s c h e S u b s t a n z e n a u f g e l ö s t h a b e n . Aber das sind ja Kleinigkeiten, und es ist das Vorrecht der heute üblichen Bildung, ein griechisches Wort zu gebrauchen für etwas, bei dem man sich nichts mehr denkt. Wenn man überhaupt denken wollte – du lieber Gott, wo käme man da hin bei unserer heutigen Zivilisation und der europäischen Wissenschaft! Der Vertreter des Staates erklärte, daß der Verstorbene eine Säule des modernen Staatswesens gewesen sei, und der Vertreter der Stadt sagte, daß der Magistrat einstimmig beschlossen habe, einer Straße den Namen des großen Toten zu verleihen. Der Kirchenchor sang ein Lied, es war ein altes Lied aus einer alten Zeit, andere Menschen mit anderer Gesinnung hatten dies alte Lied geschaffen, und es nahm sich seltsam aus nach den tönenden Worten von heute. Sehr leise und überirdisch sang es wie mit fremden Stimmen durch den Raum: "Wie wird's sein, wie wird's sein, wenn wir ziehn in Salem ein, in die Stadt der goldnen Gassen... " Dann sank der Sarg in die Tiefe.

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