Reinkarnation - eine urchristliche Lehre

- 52 - Setzt man die Richtigkeit der sprachlichen Übersetzung voraus - und unterstellt man nicht, der Verfasser der fraglichen Textstelle habe grammatikalisch falsch formuliert - so ergibt sich folgende Übersetzung des Hebräerbriefes 9, 27-28: "Und wie lange den Menschen bestimmt ist, einmal zu sterben, danach aber ein Gericht, so lange wird auch Christus - nachdem er einmal geopfert worden ist, um viele Sünden auf sich zu nehmen, zum zweiten Mal ohne Sünde - den auf ihn Wartenden erscheinen zum Heile." Der Abschnitt zwischen den Gedankenstrichen scheint ein nachträglicher Einschub zu sein: zum einen durch die Satzstellung, die das Prädikat "erscheinen" übermäßig weit von seinem Subjekt "Christus" trennt; zum anderen verläuft zwischen "Christus" und "einmal" eine spürbare und zwischen "Sünde" und ". . . erscheinen" eine unübersehbare Naht, an der die genannten Vokabeln hart aufeinanderprallen. Ferner wird der ursprüngliche Rhythmus des Verses 28, der genau dem von Vers 27 wohl entsprochen hat, zerstört. Wenn diese Überlegungen zutreffen, dann ist vermutlich auch das "einmal" von Vers 27 ein nachträglicher Einschub: a) "einmal" widerspricht logisch dem "wie lange" b) es zerstört den ursprünglichen Rhythmus des Verses c) "einmal" in Vers 27 steht und fällt mit dem "einmal" in Vers 28. Der wahrscheinlich ursprüngliche Text dürfte lauten: (27): "Wie lange es den Menschen bestimmt ist zu sterben, danach aber ein Gericht, (28): so lange wird auch Christus den auf ihn Wartenden erscheinen zum Heile (durch den Glauben).57 Wer diese Verbesserungsform als unkorrekt zurückweist, möge folgende Überlegungen anstellen: 1. Sind die Übersetzungsverbesserungen sprachwissenschaftlich falsch? 2. Paßt der Text Hebr. 9, 27-28 überhaupt in den Gesamttext? (Einziger Zusammenhang ist der Begriff "Sünde" einmal in Vers 26 und zweimal in Vers 28). 3. Sind die anderen früher zitierten Bibelstellen für die Reinkarnation exakt, kann dann eine einzige Stelle - selbstverständlich immer wieder von Gegnern der Wiederverkörperungslehre zitiert - ein echter Gegenbeweis sein? Wenn das Ergebnis zutrifft, dann stellt der verbesserte Text des Hebräerbriefes keinen biblischen Beleg gegen die Wiedergeburt dar, sondern ist vielmehr ein zumindest indirekter Beleg für die Wiedergeburt. Was soll dieser verbesserte Text bedeuten? Die Bestimmung des Menschen ist es zu sterben, und zwar nach neuen Erdenleben immer wieder ("wie lange . . ."), bis alle karmischen Belastungen aufgelöst sind und die Seele ihre absolute Reinheit besitzt. Nach jedem Sterben erfolgt ein Gericht, bei dem jeder einzelnen Seele ihr weiterer Weg festgesetzt wird. Sehr oft dürfte die Bilanz auch eine erneute Eingeburt ins Fleisch, eine Reinkarnation, als gegeben erscheinen 57 In den Codices AP (vergl. Nestle-Aland, a.a.O., S. 576) findet sich noch der Zusatz am Ende von Hebr. 9, 28: "durch den Glauben".

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