Kapitel 3-5: Der Geisterverkehr im nachapostolischen Zeitalter und in der jetzigen Zeit

- 47 - Coronel Octavio Viana erhob sich, um sich ebenfalls von der Wirklichkeit der Erscheinung zu überzeugen. Auch er nahm die Kleine in die Arme, fühlte ihr den Puls, schaute ihr in die tiefen unergründlichen Augen, stellte Fragen an sie, die sie mit monotoner, trauriger Stimme, aber sinngemäß beantwortete. Viana bestätigte ebenfalls die Echtheit der Erscheinung. Dr. de Souza frischte Kindheitserinnerungen seiner Tochter auf und erhielt verständnisvolle Antworten. Die Erscheinung wurde fotografiert. Ein Bild davon ist dem Bericht der Untersuchungskommission beigegeben. Nach der fotografischen Aufnahme begann das Kind im Raume zu schweben. Es erhob sich in die Luft und tummelte sich wie ein Fisch in seinem Element. Die Teilnehmer waren aufgestanden und gingen hinter der Erscheinung her, die mit der Hand leicht erreichbar war. Das Medium machte mit seinen Unterarmen die Bewegungen des schwebenden Kindes gleichzeitig mit. Nachdem das Mädchen noch einige Sekunden in der Luft schwebend gesehen worden war, verschwand es plötzlich. Es hatte sich 36 Minuten bei Tageslicht unter einwandfreien Bedingungen einer Versammlung gebildeter Männer gezeigt, welche bezeugen, daß sie ein ausgebildetes menschliches Wesen vor sich hatten. Dr. Ganymed de Souza verlor sein Kind zum zweitenmal – so tief hatte ihn das Erlebnis ergriffen. Das Protokoll dieses Vorganges ist von zehn Doktoren der Wissenschaft, die dabei anwesend waren, zur Beglaubigung der Richtigkeit unterschrieben. Nachdem das Medium die ungeheure Nervenanspannung des eben geschilderten Phänomens überwunden hatte, blieb es noch lange zitternd und erschöpft. Es war noch nicht wieder bei Kräften, da kam aus einem Schrank, in dem sich ein für Studienzwecke bestimmter Totenschädel befand, heftige Schläge. Der Totenschädel wurde von einer unsichtbaren Kraft wütend hin- und hergeschleudert, als ob er sein Gefängnis sprengen wollte. Ein Teilnehmer näherte sich dem Schrank, um ihn zu öffnen. Aber dessen Türen sprangen plötzlich von selbst auf. Der Totenschädel kam heraus und stieg unter greulichem Zähneklappern in die Luft. Dr. Ganymed de Souza wunderte sich im Stillen, daß nicht auch das zum Kopf gehörige Skelett sich zeige. Wie zur Antwort bildeten sich sofort der Halswirbel, dann Brustkorb und Arme, die Wirbelsäule, Beckenknochen, die Beine und schließlich die Füße mit allen Knochen. Das Medium, an beiden Armen gehalten, stößt eine Menge schaumigen Speichel aus und schlägt auf seinem Stuhl wütend gegen sich selbst. Alle Schlagadern scheinen gestaut und pochen heftig. Mirabelli verbreitet einen starken Leichengeruch, der die Anwesenden in hohem Maße belästigt und das Zimmer derart verpestet, daß selbst frische Luft ihn nicht vertreibt. Das Skelett stellt sich auf die Beine und schickt sich an, mit unsicheren, großen Schritten durch das Zimmer zu gehen. Scheint es zu stürzen, so bringt es sich wieder ins Gleichgewicht. Dr. Ganymed de Souza sucht sich durch Berührung von der Echtheit der Erscheinung zu überzeugen. Er beklopft die harten schmierigen Knochen, empfindet einen Nervenschlag und kehrt wieder an seinen Platz zurück. Das Medium krümmt und windet sich auf seinem Stuhl und ist nur mit Mühe festzuhalten. Das Skelett setzt seinen unheimlichen Rundgang fort. Die Teilnehmer, angeregt durch das Beispiel des Dr. Ganymed de Souza, überwinden ihren Abscheu, erheben sich einer nach dem anderen und berühren diese düstere Verkörperung des Todes und des Nichts. Alle sind erschüttert. Der Leichengeruch bleibt bestehen. Das Skelett beginnt langsam, in ausgezählten Minuten, sich aufzulösen, anfangend bei den Füßen, bis schließlich nur mehr der Schädel in der Luft schwebt, der nun nicht mehr mit den Kinnladen klappert, sondern auf den Tisch fällt und dort liegenbleibt. Alles das geschah um 9.45 Uhr vormittags bei strahlender Sonne unter einer fast polizeimäßigen Kontrolle in Gegenwart vieler gebildeter Persönlichkeiten und währte 22 ausgezählte Minuten.

RkJQdWJsaXNoZXIy MjI1MzY3