Kapitel 8-9: Die Lehre Christi und das heutige Christentum

- 45 - Oder überbringen dem katholischen Priester, wie beim Propheten Nathan und bei Christus, Geisterboten den Auftrag, in dem einen Falle die Sünden zu vergeben und in dem anderen Falle nicht? Oder hat er sonst eine überirdische Gabe, dies zu erkennen? Kann er in den Herzen der Beichtkinder lesen, ob Gott ihnen die Sünden vergeben hat? Die katholischen Priester müssen gestehen, daß sie nichts dergleichen besitzen. Wie können sie denn anderen mitteilen, daß Gott ihnen die Sünden vergebe, wenn sie nicht den geringsten Anhaltspunkt dafür haben, ob ihre Mitteilung auf Wahrheit beruht? Der Priester vermag weder in das Herz des Sünders zu schauen, noch den Willen Gottes zu erkennen. Und wenn ihr sagt, die Lossprechung gelte bloß für den Fall, daß das Beichtkind seine Sünden wahrhaft bereue und den ernstlichen Willen habe, sich zu bessern, so besteht das Törichte der priesterlichen Lossprechung eben darin, daß der Priester in keinem Falle weiß, ob jene Bedingung bei dem Beichtkind erfüllt ist. • Ein Priester kann also in k e i n e m Falle sagen: 'Ich spreche dich los von deinen Sünden.' Er kann höchstens sagen: 'Gott möge dich lossprechen von deinen Sünden!' Um einen solchen Wunsch dem Sünder gegenüber auszusprechen, braucht man nicht Priester zu sein. Das kann jeder Mensch. Es ist eben bloß ein Wunsch ohne jede Wirkung. Aber der Priester sagt ausdrücklich: 'Ich spreche dich los von deinen Sünden.' Damit spricht er ein richterliches Urteil aus, von dem er in keinem Falle weiß, ob es vor Gott Rechtskraft besitzt oder nicht. Was würdet ihr von einem irdischen Richter sagen, der Urteile ohne jede Rechtskraft verkünden würde? Nicht wahr, das wäre eine lächerliche Komödie. Dasselbe ist die katholische Sündenvergebung durch einen Priester, wie dir dein gesunder Menschenverstand sagen muß. Die Wahrheit ist die: • Wer seine Sünden aufrichtig bereut und sich zu Gott wendet, dem vergibt Gott, einerlei ob ein Priester ihm vergeben hat oder nicht. Und wer nicht bereut, dem wird von Gott keine Vergebung zuteil, wenn ihm die Priester auch noch sooft die Lossprechung erteilen. Eure Lehre der Sündenvergebung durch Priester ist daher e i n e der großen menschlichen Irrungen, die sich im Laufe der Zeit in das Christentum eingeschlichen haben. Zum Beweis dafür, daß die katholischen Priester die Gewalt haben, die Lossprechung von Sünden zu erteilen, beruft sich die katholische Kirche auf eine gefälschte Bibelstelle. Auf diese Fälschung habe ich dich bereits in meinem ersten Zusammentreffen mit dir hingewiesen. Es ist die Stelle: Johannes 20, 23: 'Wenn ihr anderen die Sünden vergebet, so werden sie ihnen vergeben. Wenn ihr sie behaltet, so werden sie ihnen behalten.' Du weißt bereits, daß im griechischen Text ein einziges Wörtchen in dieser Stelle ausgelassen und dadurch der ganze Sinn entstellt ist. Anstatt des Wortes 'ihnen' stand im Urtext 'euch selbst'. Die Stelle hieß also richtig: 'Wenn ihr anderen die Sünden vergebet, so werden sie euch selbst vergeben. Wenn ihr sie behaltet (oder nicht vergebt), dann werden sie euch selbst behalten (oder nicht vergeben).'

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