Kapitel 8-9: Die Lehre Christi und das heutige Christentum

- 48 - Zwar sagt deine Kirche bezüglich ihres Gebotes der Ehelosigkeit der Priester und Ordensleute, daß sie niemand dazu zwinge. Denn sie nötige keinen, Priester zu werden oder in den Ordensstand einzutreten. - Gewiß, sie zwingt keinen dazu, Priester, Mönch oder Nonne zu werden. Aber wenn einer es als seinen Beruf erkannt zu haben glaubt, als Priester Verkünder der Heilswahrheiten zu werden, so zwingt sie ihn zur Ehelosigkeit und stellt ihn vor die Wahl, entweder dem erkannten Beruf zu entsagen oder die nicht von Gott gewollte, sondern durch Kirchensatzung geforderte Ehelosigkeit zu wählen. Er steht also unter dem größten geistigen Zwang, den man auf einen Menschen ausüben kann. Und wenn die Kirche auch niemand äußerlich zwingt, in einen religiösen Orden einzutreten und infolgedessen ehelos zu leben, so übt sie doch den größten seelischen Druck dadurch aus, daß sie das Ordensleben als das Ideal der Vollkommenheit hinstellt. Gerade die besten Menschen betrachten es als ihre Pflicht, das Ideal der Vollkommenheit zu erreichen. Da ihnen dies jedoch fälschlich als eheloses Ordensleben hingestellt wird, so fühlen sie sich in ihrem Streben nach Vollkommenheit dem unabwendbaren Zwang unterworfen, ehelos zu bleiben. Man sage nicht, Gott gebe demjenigen die Kraft zur unverletzten Ehelosigkeit, der den Beruf zum Priester- oder Ordensstand in sich fühle. Das ist eine große Selbs t täuschung! Gott gibt bloß die Kraft zur Erfüllung dessen, was der Wille Gottes ist, aber nicht zu dem, was Menschen in selbstgewählter äußerer sogenannter Frömmigkeit sich oder anderen gegen Gottes Willen auferlegen. • Das Gute und Vollkommene ist stets nur das, w a s d e m W i l l e n G o t t e s e n t s p r i c h t und vom Menschen in jedem Augenblick f r e i g e w o l l t ist. Nie jedoch ist etwas gut oder vollkommen, was unter irgendeinem äußeren Zwang geschieht oder was zwar vielleicht beim ersten Schritt frei gewollt war, nachher aber als äußerer Zwang bis zum Lebensende weitergetragen werden muß. Nicht einmal Gott übt auf irgendeinen Menschen einen Zwang aus, seinen Willen zu erfüllen. Und da sollte eine Kirche im Namen Gottes einem Menschen die Freiheit der Selbstbestimmung rauben dürfen, die Gott selbst nie antastet? • Das Böse herrscht stets durch Zwang und Knechtung, das Gute durch Freiheit. Nur das Böse hat die Knechtschaft in die Religion hineingetragen. Die Sucht, über andere schrankenlos gebieten zu können, hat die Unterdrückung der persönlichen Freiheit unter dem Deckmantel höherer Vollkommenheit in die katholische Kirche eingeführt. Das ehelose Priestertum sowie das Ordensleben mit den Gelübden der Armut, der Keuschheit als Ehelosigkeit und des vollkommenen Gehorsams gegen die geistlichen Oberen sind die stärksten äußeren Machtmittel der katholischen Religion zur Festigung der kirchlichen Organisation. Weder Christus noch die Apostel wissen etwas von einem Priestertum, wie es die katholische Kirche hat; sie kennen keine geistlichen Orden. • Sie haben nichts dergleichen gelehrt oder eingesetzt. • Sie kennen kein Gelübde der Armut und der Keuschheit als Ehelosigkeit oder gar des vollkommenen Gehorsams unter einem geistlichen Oberen als Vollkommenheitsideale. • Sie kennen keine freiwillige Armut im Sinne der katholischen Kirche. • Sie gründeten keine Ordensgemeinschaften und lehrten auch nicht, solche zu gründen, damit Menschen bei ihnen eintreten und ihr Vermögen ihnen zur Verfügung stellen sollten.

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