Kapitel 8-9: Die Lehre Christi und das heutige Christentum

- 49 - 8. 14 Armut Sind denn die Ordensleute wirklich arm? Sind sie nicht vielmehr für ihr ganzes Leben jeder Nahrungssorge enthoben? Ist nicht täglich der Tisch für sie gedeckt? Und das nennt ihr Armut? Wenn alle Menschen so viel hätten, dann gäbe es keine Armen mehr. Und wenn eine solche Armut zum Ideal der Vollkommenheit gehört, weshalb sind denn so viele Klöster so reich an irdischen Gütern? Wenn die Armut das Ideal des einzelnen sein soll, dann muß sie auch das Ideal der Gemeinschaft sein. Und warum übt denn euer Priestertum, das die freiwillige Armut als einen der höchsten Grade der Vollkommenheit predigt, nicht selbst diese Armut? Ein Prediger des Ideals muß doch wohl dieses Ideal z u e r s t a n s i c h s e l b s t verwirklichen. Oder ist vielleicht euer Priestertum arm? Ist der Papst arm? Sind die Bischöfe arm? Sind die Priester arm? Wenn es allen Menschen irdisch so gut ginge wie diesen Predigern des Armutsideals, dann gäbe es nirgends mehr Armut! Ihr beruft euch auf die Worte Christi an den reichen Jüngling, um zu beweisen, daß freiwillige Armut zur Vollkommenheit gehöre. Doch ihr gebt diesen Worten eine ganz unrichtige Deutung. Als Christus zu dem reichen Jüngling sagte: 'Willst du vollkommen sein, so gehe hin und verkaufe alles, was du hast und gib das Geld den Armen, so wirst du einen Schatz im Himmel haben; dann komm und folge mir nach!', so galt diese Mahnung bloß d i e s e m J ü n g l i n g . Denn er hatte sein Herz an Geld und Gut gehängt. Das wurde ihm zum Fallstrick und verhinderte seinen Eintritt in das Reich Gottes. Als der Jüngling wegen dieser Mahnung Christus den Rücken wandte, sagte der Meister zu seinen Jüngern: 'Kinder, wie schwer ist es doch für Menschen, die sich auf Geld und Gut verlassen, in das Reich Gottes einzugehen.' • Nicht jeder, der viele irdische Güter besitzt, ist im Sinne Christi reich, sondern n u r d e r , welcher sein Herz n i c h t an den Mammon hängt und i h n zu seinem Gott macht. Abraham, Isaak, Jakob, Hiob und David waren sehr reich an materiellen Dingen. Und doch gehören sie nicht zu den Reichen, die Christus meint. Ihr Reichtum war ihnen kein Hindernis auf dem Wege zu Gott. Ihnen würde Christus nie gesagt haben, daß sie alles verkaufen sollten, um vollkommen zu werden. Anders war es bei dem reichen Jüngling. Ihn hielt seine Anhänglichkeit an seinem Besitztum ab, dem Rufe Gottes zu folgen. Lieber verzichtete er auf das Reich Gottes, als auf sein Vermögen. Bei allen Menschen finden sich Hindernisse, wenn es sich darum handelt, Gott näherzukommen. Sie sind so verschieden, wie die Menschen selbst. Ein jeder hat das Hindernis zu beseitigen, das ihm im Wege steht.

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