Kapitel 8-9: Die Lehre Christi und das heutige Christentum

- 51 - 8. 15 Keuschheit als Ehelosigkeit Auch die vollkommene Keuschheit in der Form der Ehelosigkeit gilt deiner bisherigen Kirche als Ideal der Vollkommenheit. Die vollkommene Keuschheit soll und kann jeder üben. Aber sie hat mit Ehelosigkeit nichts zu tun. Denn die Ehe ist nichts Unkeusches. Verheiratete können sehr keusch und Unverheiratete sehr unkeusch sein, auch wenn sie Priester oder Ordensleute sind. • D i e w a h r e K e u s c h h e i t besteht lediglich in dem rechten Maßhalten in den Dingen, die mit dem Naturgesetz des Geschlechtslebens zusammenhängen. Wie Mäßigkeit im Essen und Trinken nicht darin beruht, daß man Hunger und Durst gewaltsam unterdrückt, sondern darin, daß man bei Aufnahme von Speise und Trank die Grenzen des Erlaubten nicht überschreitet, so ist es auch beim Geschlechtsleben. • Der Geschlechtstrieb ist als Naturgesetz vom Schöpfer in alles Geschaffene hineingelegt. Und was Gott geschaffen hat, i s t g u t und soll von Menschen nicht gewaltsam unterdrückt, sondern in den von Gott bestimmten Grenzen gebraucht werden. Das Gesetz der Fortpflanzung gilt für jeden Menschen! Die Familiengründung ist ein Auftrag Gottes, dem sich niemand ungestraft entziehen darf. Denn die irdische Zeugung ist der Weg, auf dem die von Gott abgewichenen Geister in den einzelnen Naturstufen höhersteigen sollen, um zur Vollendung zu gelangen. • Es ist eine Fügung der Weisheit Gottes, daß diejenigen der gefallenen Geister, die sich bis zu einer bestimmten irdischen Stufe emporgearbeitet haben, auf dem Weg der Fortpflanzung ihren Geschwistern aus den tieferen Naturstufen zu den höheren hinaufhelfen. Wenn irdische Geschwister zusammen in eine Grube stürzen, so reicht derjenige von ihnen, der zuerst in der Höhe ist, dem anderen die Hand, damit auch sie aus der Grube befreit werden. Das ist Geschwisterpflicht. Von diesem Gesichtspunkt der Weisheit und des Erbarmens Gottes sollt ihr das Gesetz des Geschlechtslebens betrachten. Gott hat den Geschlechtstrieb deshalb so stark gestaltet, weil die Fortpflanzung ein Teil des Erlösungsplanes Gottes ist und die Geschöpfe sich der Pflicht, an der Ausführung dieses Planes mitzuwirken, nicht so leicht sollten entziehen können. Es ist daher klar, daß es sich hierbei um eine Pflicht handelt, von deren Erfüllung nur die schwerwiegendsten Gründe den Menschen befreien können. • Darum ist das Gelübde der Ehelosigkeit e i n s c h w e r e r V e r s t o ß g e g e n d e n W i l l e n G o t t e s . Weder die katholischen Priester noch die Ordensleute haben vor Gott einen hinreichenden Grund, ehelos zu bleiben. Ich weiß, daß man zur Rechtfertigung der Ehelosigkeit das siebente Kapitel des ersten Korintherbriefes anführt. Paulus gibt darin verschiedene Gründe an, weshalb es besser sei, ehelos zu bleiben. Er erteilt den Rat, daß nur derjenige heiraten solle, dem die Ehelosigkeit zur Gefahr werde. D i e s e A n s i c h t d e s A p o s t e l s w a r f a l s c h ! Er hatte auch keinerlei Auftrag Christi, eine solche Lehre zu verkünden. Dessen war sich Paulus auch vollkommen bewußt. Es wird dir nämlich beim Lesen des siebenten Kapitels des ersten Korintherbriefes etwas auffallen, was du sonst nie in den Briefen dieses Apostels findest: Nämlich die immer wiederkehrende Betonung, daß es bloß die eigene Meinung sei, die er den Korinthern inbetreff der Ehelosigkeit mitteilte, und daß er nicht im Auftrag Christi rede. Daher das stets wiederkehrende: 'Sage ich.' - 'Den unverheirateten Männer und besonders den Witwen sage ich.' - 'Den Verheirateten gebiete nicht ich, sondern der Herr.' - 'Den übrigen aber sage ich, nicht der Herr.' - 'Inbetreff der unverheirateten Mädchen habe ich kein ausdrückliches Gebot des Herrn, sondern spreche nur meine Meinung aus.' - Und zum Schluß des Kapitels betont er nochmals: 'Das ist meine Ansicht!'

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