Kapitel 8-9: Die Lehre Christi und das heutige Christentum

- 56 - 8. 17 Ablaß – Heilige - Heiligenverehrung Im Zusammenhang mit der Lehre deiner bisherigen Kirche über Buße und Sündenvergebung muß ich noch eine sehr sonderbare Lehre dieser Kirche erwähnen. Es ist die L e h r e v o m A b l a ß. Sie ist ein Anhängsel der Lehre von der Sündenvergebung. Denn wenn eine Kirche Sünden vergeben kann, warum sollte sie nicht auch Sündenstrafen erlassen können. Sie beansprucht damit also ein Begnadigungsrecht. Aber wie nur Gott Sünden vergeben kann, so kann auch nur Gott begnadigen. Besonders merkwürdig ist die Erklärung, welche die katholische Kirche für ihr Begnadigungsrecht gibt. Sie spricht von einem 'Kirchenschatz', der von den überschießenden Verdiensten Christi und der Heiligen angefüllt sein soll. Und von diesen Verdiensten nimmt sie nun in der Form des Ablasses einen Teil zum Ausgleich der fehlenden Verdienste reuiger Sünder, so daß deren Sündenstrafen entweder ganz oder teilweise erlassen werden. Ein gänzlicher Erlaß geschieht nach ihrer Lehre durch einen vollkommenen Ablaß und ein teilweiser durch einen unvollkommenen. Diese Lehre vom Ablaß ist aus verschiedenen Gründen widersinnig. • Zunächst kann kein Geschöpf Gottes mehr leisten, als es Gott schuldig ist, weder ein Geist noch ein Mensch. Vor Gott, von dem es heißt, daß nicht einmal der Himmel rein ist in seinen Augen, ist auch der vollkommenste Geist nur ein Knecht, der bloß seine Schuldigkeit tut, auch wenn er das Höchste leistet, was in seiner Macht steht. Überschüssige Verdienste gibt es bei ihm nicht. Auch Christus hatte bei dem, was er vollbrachte, nicht mehr geleistet als er sollte. Hätte er weniger getan, so würde er seine hohe Aufgabe nicht erfüllt haben. Er wäre der Hölle unterlegen und von Gott abgefallen. Mehr als den Willen Gottes kann niemand tun. Und wenn er ihn erfüllt, dann tut er bloß seine Pflicht und Schuldigkeit. Er kann davon an andere, die ihre Schuldigkeit nicht tun, auch nicht das geringste abgeben. • Sein Heil hat ein jeder selbst zu wirken. Das ist der zweite Grund, weshalb die Zuwendung des Verdienstes des einen an einen anderen unmöglich ist. Was nach euren menschlichen Gesetzen der Gerechtigkeit nicht angängig ist, gilt in demselben Maße von der Gerechtigkeit Gottes. Wie eure menschlichen Richter niemals einem Verletzer des Gesetzes deswegen seine Strafe ermäßigen, weil andere das Gesetz treu beachten, so wird auch einem Sünder nie deswegen etwas von seiner Strafe geschenkt, weil andere die Gebote Gottes hielten. Wo bliebe sonst seine Gerechtigkeit? Und wie denkt ihr euch eigentlich einen solchen Kirchenschatz der überschießenden Verdienste anderer? - Meint ihr vielleicht, das geistige Leben in Gott könne in einer Schatzkammer aufgespeichert werden, wie eure irdischen Kirchenschätze, so daß es je nach Bedarf für andere hervorgeholt werden könne? Wie unvernünftig ihr Menschen doch so oft in eurem Denken seid. Und wie über alle Maßen töricht ist in deiner bisherigen Kirche die Handhabung des Ablasses. Könnt ihr als vernünftige Menschen es für möglich halten, daß ein Nachlaß von Sündenstrafen an lächerliche äußerliche Bedingungen geknüpft ist? - Solltest du deswegen, weil du ein Gebet an einem gesegneten Rosenkranz verrichtest, einen Nachlaß der Strafe erlangen, aber nicht dann, wenn du ohne einen Rosenkranz in der Hand zu Gott betest? - Solltest du einen vollkommenen Nachlaß aller deiner Sündenstrafen erhalten, weil du an einem bestimmten Tage und in einer bestimmten Kirche ein bestimmtes Gebet verrichtest - und dieses Nachlasses verlustig gehen, wenn du dasselbe oder gar ein besseres Gebet in deinem Kämmerlein betest? Sollten dir deswegen in deiner Todesstunde alle Sündenstrafen erlassen werden, weil du ein gesegnetes Sterbekreuz in der Hand hast oder ein geweihtes Skapulier1 trägst, mit dem deine Kirche einen sogenannten vollkommenen Ablaß verbunden hat? - Glaubst du wirklich, daß Sterbekreuz und Skapulier dich retten können, wenn du ohne diese Dinge dem Strafgericht Gottes anheimfielest? Kannst du wirklich glauben, daß mit bestimmten Gebeten, Besuch von Wallfahrtsorten und ähnlichen Din- 1 Skapulier: Bei der Mönchstracht Überwurf über Brust und Rücken.

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