Der Delpasse-Effekt

- 30 - 3.0 Neuere Forschungsergebnisse (Quelle: Badische Zeitung und ZDF-Online) Wenn Neurobiologen auf Psychotherapeuten treffen, gibt es zwei Möglichkeiten: Die Neurobiologen erklären, daß das Seelische nur eine elektrische oder chemische Reaktion des Gehirns ist oder die Psychotherapeuten behaupten, daß das Eigentliche der Seele nicht in der Materie des Gehirns zu finden sei. (Im Prinzip hat sich also wenig geändert.) Bei den 51. Psychotherapiewochen im Jahre 2001 passierte in Lindau Erstaunliches: Der Neurobiologe und Göttinger Hirnforscher Gerald Hüther2, erklärte den Psychotherapeuten, • d a ß d i e S e e l e d i e Ma t e r i e d e s G e h i r n s g e s t a l t e t . Der Einbruch der Neurobiologie in die Psychotherapie ist dramatisch. Hüther sprach von einem Paradigmenwechsel. Das wichtigste - für die Psychotherapie umwälzende - Ergebnis der neueren Hirnforschung: • Das Gehirn ist nicht mit Abschluß der Entwicklungsphase fertig und baut danach nur noch ab, sondern es ist plastisch. Das Gehirn bleibt lebenslang entwicklungsfähig. Seine Entwicklung ist abhängig von der Erfahrung. Hüther berichtete von einer Untersuchung an Taxifahrern aus London, bei der man messen konnte, daß das Zentrum für räumliche Vorstellung, der Hypothalamus, um so größer ist, je länger jemand Taxi fährt. Erleben formt das Gehirn. Hüter: "Ich kann das auch erst denken, weil in den letzten zehn Jahren in der Hinforschung so viel passiert ist." Der Neurobiologe Hüther hat wenig Scheu davor, über nicht Meßbares zu sprechen: über die Erfahrung, jenen nicht angeborenen Einflußfaktor, der irgendwie im Gehirn und im ganzen Körper verankert ist. "Wem nichts mehr unter die Haut geht, der kann auch keine Erfahrung mehr machen", so Hüther. Umgekehrt stellte er fest, daß Erfahrung tatsächlich unter die Haut geht und dort Zellen zu verändern vermag. Die Unbefangenheit, über nicht meßbare Faktoren zu sprechen, nimmt Hüther aus der Erfahrung mit dem Meßbaren. Seit das Dogma vom nicht mehr änderbaren Gehirn gefallen ist, öffnet sich eine neue Welt. Dogmen fallen, Weltbilder verändern sich. In Lindau wurde dies auch deutlich im Umgang mit der Wissenschaftssensation des vergangenen Jahres: dem Human Genome Project. Schon der Zellforscher Friedrich Cramer hatte zum Auftakt die Konzentration auf das menschliche Genom als "völlig veraltetes Konzept" abgetan. Phänomene wie die Seele sagten w e s e n t l i c h m e h r a u s über den Menschen. - Hüter legte nach: Craig Venter habe mit der Entschlüsselung des menschlichen Genoms nur herausgefunden, daß dort das Geheimnis des Lebens nicht zu finden sei. "Das Menschenhirn ist so wenig wie möglich genetisch geprägt, damit wir so viel wie möglich lernen können." Ein weiterer wichtiger Aspekt ist der Darm: Im Darm liegt mit 100 Millionen Nervenzellen ein Netz, das von der Speiseröhre bis hin zum Enddarm reicht. Dieses sog. Bauchhirn arbeitet unabhängig vom Gehirn, die Nervenzellen treffen alle für den Darm wichtigen Entscheidungen selbständig, alles was mit Verdauung und Transport zu tun hat. Das Gehirn mischt dabei nicht mit. Die Wissenschaft untersucht jetzt, ob der Darm nicht nur für unsere Verdauung, sondern auch für unsere Gefühle aus dem Bauch verantwortlich ist. Wie es funktioniert, weiß zwar keiner, aber eine Informations- und Gedächtnisbildung im Darm ist möglich. Es ist denkbar, daß wir mit dem Bauch fühlen. Bewiesen ist bislang aber nur: • Das Bauchhirn reagiert selbständig auf Reize von außen. 2 Gerald Hüther, Dr. rer. nat. Dr. med. habil, ist Professor für Neurobiologie an der Psychiatrischen Klinik der Universität Göttingen. Zuvor, am Max-Planck-Institut für experimentelle Medizin, hat er sich mit Hirnentwicklungsstörungen und mit der langfristigen Modulation monoaminerger Systeme beschäftigt; als Heisenbergstipendiat hat er ein Labor für neurobiologische Grundlagenforschung aufgebaut. Hüther ist unter anderem Mitglied in der Gesellschaft für Biologische Psychiatrie, AGNP, ISTRY.

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