An den Grenzen der Physik

- 24- "Bewegungen ohne Berührung, Hellsehen, Gespenster, Vorahnungen sind so ungewöhnliche Phänomene, daß wir beim Anhören von Berichten darüber zunächst versucht sind zu lachen. Wir lachen und verneinen, ehe wir untersucht haben. Wir lachen, ohne zu prüfen, und verneinen, ohne die Sache zu erwägen. Lange verhielt ich mich ebenso, und auch William Crookes, Lombroso, Russel Wallace, Zöllner, Oliver Lodge, Morselli, Bottazzi verhielten sich zuerst nicht anders. Deshalb wäre ich nicht überrascht, wenn der Bericht über solche Begebenheiten auf Unglauben und Spott stoßen sollte. Je weniger aufmerksam man gelesen haben wird, um so mehr wird man spotten. Übrigens sind es kaum Beweisgründe, die uns überzeugen. Eine einwandfreie mathematische Beweisführung überzeugt uns nicht. Um ein Phänomen anzunehmen, müssen wir daran gewöhnt sein." Richet fährt dann fort: "Nichts kann uns die Umwälzung voraussehen lassen, welche die Parapsychologie in unseren Ideen über die letzten Ziele des Menschen hervorrufen wird. Gewiß wird die Wissenschaft der Atome und der materiellen Kräfte, der Anziehung der Wärme, der Elektrizität und der chemischen Verwandtschaften nicht umgestoßen werden, denn ihre Grundlagen sind unerschütterlich; aber man wird diese Wissenschaft vielleicht um neue große Tatsachen bereichern. Vielleicht wird man den Endzweck des Menschenlebens besser verstehen und wird er nicht mehr so völlig in den Wolken des Unerforschlichen verborgen bleiben, wenn wir in die positive Wissenschaft einige der Tatsachen dieser neuen Wissenschaft eingeführt haben werden. Heute, wo noch alles dunkel ist, liegt unsere Pflicht klar vor uns. Seien wir zurückhaltend mit eitlen Spekulationen, ergründen und durchforschen wir die Tatsachen; zeigen wir ebensoviel Strenge in unseren Experimenten wie Mut in unseren Hypothesen. Dann wird die Parapsychologie aus dem Okkultismus erstehen, wie einst die Chemie aus der Alchimie. Und niemand vermag ihre erstaunliche Zukunft vorauszusehen. Trotzdem darf man sich keinen zu großen Illusionen hingeben. Die Bruchstücke unverstandener Wahrheiten, die uns die Wissenschaft des Okkulten darbietet, beweisen die Armseligkeit unserer menschlichen Intelligenz. Beim Studium der Gestirne ist der Astronom rasch davon überzeugt, daß der Mensch ein unsagbar unbedeutendes Wesen ist, und wenn in der Parapsychologie fahle, flüchtige Schimmer uns geistige Welten anzeigen, die um uns und in uns erzittern, so fühlen wir nicht minder, daß diese Welten vielleicht ebenso fern und unverständlich bleiben werden, wie die fernen Gestirne, die das Himmelsgewölbe bevölkern. Aber dies ist kein Grund, unsere Anstrengungen und Mühen nicht zu verdoppeln. Große Rätsel sind hier zu ergründen! Die Aufgabe ist so schön, daß, selbst wenn ihre Lösung mißlingen sollte, die Ehre sie versucht zu haben, dem Leben einigen Wert verleihen wird." Kehren wir noch einmal zu unserem Ausgangspunkt zurück, nämlich zur Mittlerfunktion der Parapsychologie zwischen Naturwissenschaft und Religion. Der moderne Mensch nimmt an, daß alle Berichte der Bibel über Prophezeiungen und Wunder, die zur Beglaubigung des göttlichen Auftrags von Aposteln, Propheten und Jesus Christus dienen sollten, von den heutigen Wissenschaften längst widerlegt worden sind. Folgerichtig schließt daraus der heutige Mensch, daß auch die durch die Berichte gestützte Lehre im Prinzip falsch ist. Bedeutende Physiker aber widersprechen dieser Anschauung und ihrer Schlußfolgerung. Weiterhin zeigt die Parapsychologie, daß alle sogenannten Wunder wie Krankenheilung, Entrückung, Levitation, Nahrungsvermehrung, Vorschau auf kommende Ereignisse usw. auch heute noch beobachtet und untersucht werden können. Damit entfällt der Hauptgrund zur Ablehnung der christlichen Religion. Diese Erkenntnis faßt der Professor für evangelische

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