An den Grenzen der Physik

- 3- An den Grenzen der Physik Unsere heutigen Wissenschaften, insbesondere die Naturwissenschaften, haben uns in den letzten Jahrhunderten, besonders aber in den letzten Jahrzehnten, sehr bedeutsame Erkenntnisse über unser Universum, unsere Erde, unsere Umwelt und unseren menschlichen Körper geliefert. Zu dieser starken Erweiterung unserer Kenntnisse haben besonders die Forschungen in der Physik beigetragen, das heißt in der Lehre von den Vorgängen der unbelebten Natur. Es ist aber das Wesen und die Aufgabe der Physik als der Grundwissenschaft aller anderen Naturwissenschaften, die von ihr beobachteten Vorgänge mathematisch zu formulieren, mathematische Gesetze aufzustellen, aus denen gegenwärtiges, vergangenes und vor allem zukünftiges Geschehen vorhersagbar und berechenbar wird. Die Physik konnte im Verlauf ihrer Entwicklung erst dann nennenswerte Fortschritte machen, als es gelang, die ersten einfachen mathematisch formulierten Gesetze aufzustellen. Eingeleitet wurde diese Entwicklung durch Galilei und Kepler. Die Physik ist eine reine Erfahrungswissenschaft, zunächst der unbelebten Natur, deren Grundlage Beobachtungen und Messungen sind. Die Ergebnisse der Messungen werden dann, wenn möglich, in mathematisch formulierten Beziehungen wieder-gegeben. Mit diesem Rüstzeug hat die Wissenschaft der Physik im Verlaufe der letzten 300 Jahre sehr große Erfolge errungen. Sie haben uns erkennen lassen, wie Naturvorgänge ablaufen. Die Physik ist dadurch heute nicht nur die Grundlagenwissenschaft der unbelebten Natur und die Wegbereiterin der Technik geworden, sondern sie wird in zunehmendem Maße auch zur Grundlagenwissenschaft der belebten Natur, der Physiologie, Neurologie, Bionik und so weiter. Diese Erfolge in der Wissenschaft der Physik haben bereits in den zurückliegenden Jahrhunderten Nichtphysiker dazu veranlaßt, in unzulässiger Weise Folgerungen auf nichtphysikalischem Gebiet zu ziehen, zum Beispiel in der Philosophie und in der Theologie. Es entstand das philosophische Gedankengebäude des Materialismus. Dieser wurde von dem führenden Philosophen der deutschen Aufklärung Christian Wolff, der von 1679 - 1754 lebte, definiert: "Materialisten werden Philosophen genannt, die nur die Existenz von materiellen Dingen oder Körpern zugeben." Wolff verlor wegen seiner Lehren auf Betreiben der Pietisten, die ihn als Religionsfeind ansahen, zeitweise seinen Lehrstuhl in Halle. Jedoch wurde er 1740 von König Friedrich dem Großen wieder in sein Lehramt in Halle eingesetzt. Um 1750 wurden die Anschauungen Wolffs an fast allen Lehrstühlen für Philosophie in Deutschland vertreten. Ebenfalls verbreitete sie im vorigen Jahrhundert der deutsche Arzt Ludwig Büchner, der von 1824 - 1899 lebte. Seine ab 1855 in unzähligen Auflagen veröffentlichte Schrift "Kraft und Stoff" stellte die populäre Materialistenfibel dieser Zeit dar. Die von den Erfolgen in der Physik verursachte Aufklärung, die auf dem Materialismus fußte, griff auch auf die Theologie über. Von der Aufklärung sagt der evangelische Theologe Professor Hans Conzelmann 1963 in einer Arbeit "Entmythologisierung": "Die Aufklärung, die den bedeutsamsten Einschnitt zwischen Reformation und Gegenwart bildet, legt an die Bibel bewußt und umfassend den Maßstab der Vernunft an. Was diesem nicht entspricht, wird preisgegeben, so der Glaube an Wunder, der sich nicht mit der modernen Erkenntnis der Naturgesetze verträgt. Was übrig bleibt ist ein Kern von "vernünftigen" religiösen und sittlichen Grundsätzen, die bis heute die Weltanschauung des gebildeten Bürgertums ausmachen.

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