Das Fortleben nach dem Tode

- 22 - Über meiner Frau, indessen durch ein Band mit ihr verbunden, das über dem linken Auge von der Stirne ausging, schwebte in die Höhe eine unbekleidete weiße Gestalt, anscheinend ihr Astralkörper. Zeitweise verhielt sich die so verbundene Person vollständig ruhig, dann aber schrumpfte sie in sich zusammen, bis sie nicht größer als etwa 18 Zoll war. Der Körper war vollständig, Arme und Beine alles vollständig. Während der Astralkörper so an Gestalt abnahm, wandte er sich öfter heftig hin und her, schlug mit Armen und Beinen um sich, vermutlich in der Absicht, sich freizumachen und zu entkommen. Er wandte sich so lange hin und her, bis er entkräftet zu sein schien. Dann wurde er ruhig, nahm wieder an Größe zu, um das nämliche Spiel von neuem beginnen zu lassen. Diese Vision, oder was es auch sein mochte, habe ich andauernd während der ganzen fünf Stunden gehabt, die dem Scheiden meiner Gattin vorausgingen. Unterbrechungen, wenn ich z. B. mit meinen Freunden sprach, mein Auge schloß und den Kopf abwandte, vermochten das Blendwerk nicht im mindesten zu beeinflussen; denn sobald ich wieder meinen Blick auf das Sterbebett richtete, war auch die Geisterscheinung zu sehen. Diese ganzen fünf Stunden hindurch hatte ich ein seltsames Gefühl der Bedrückung, eine schwere Last lag auf meinem Kopf und meinen Gliedern, meine Augen waren schwer und voll Schlaf. Und während dieser Periode waren die Empfindungen so seltsam, die Erscheinungen so beständig und lebhaft, daß ich glaubte, den Verstand zu verlieren, und mehr als einmal dem behandelnden Arzte von Zeit zu Zeit sagte: 'Herr Doktor, ich verliere meinen Verstand.' Endlich trat der verhängnisvolle Augenblick ein. Ein Keuchen, der Astralkörper wand sich hin und her, mein Weib hörte auf zu atmen; es machte den Anschein, als wenn sie nun gestorben sei. Einige Augenblicke später jedoch begann sie wieder zu atmen, zweimal, und dann war alles still. Mit ihrem letzten Atemzuge und dem letzten Seufzer, als die Seele den Körper verlassen hatte, war das Verbindungsband plötzlich abgerissen und die Astralgestalt verschwunden. Die Wolken und die Geistergestalten verschwanden augenblicklich, und seltsam, das ganze schwere Gefühl, das auf mir gelastet hatte, war mit einem Male von mir gewichen. Ich war mir selbst wiedergegeben, kaltblütig, ruhig und besonnen, und von dem Augenblick des Todes an befähigt, alle Anordnungen betreffs des irdischen Körpers und seiner Bestattung zur letzten Ruhe zu treffen. Ich muß nunmehr meinen Lesern überlassen, darüber zu urteilen, ob ich einer Sinnestäuschung unterworfen war infolge des Grams, des Herzeleids und der Ermattung, oder ob nicht doch ein Schimmer jener geistigen Welt mit ihrer Schönheit, Glückseligkeit, Ruhe und Frieden meinen sterblichen Augen vergönnt war." Diesem Bericht ist nicht zu entnehmen, daß die Sterbende die Gestalten, die sie abholten, erkannte, etwa als frühere Angehörige oder Freunde. Bei der folgenden Begebenheiten erkannte der Sterbende jedoch, wer ihn in Empfang nahm. Die Umstehenden konnten dagegen nichts sehen. Es folgt der Bericht des reformierten Pfarrers Alex Stern aus Bern. Er schildert im Jahre 1912 den Tod des Pfarrers Wilhelm Lehmann10 1) aus Lennep im Rheinland und schreibt11 2) S. 143: "Im Alter von noch nicht einmal sechzig Jahren war er durch eine auszehrende Krankheit aufs Krankenlager geworfen und war bereits ein Jahr bettlägerig, abgezehrt und so schwach, daß er nur sehr wenig und leise sprechen konnte und sich nicht mehr allein herumzulegen oder aufzurichten vermochte. Zwei seiner Söhne waren sechs bis acht Jahre vor ihm gestorben: der eine, Julius, in seinem elften und der andere, Rudolf, in seinem achten Lebensjahr. An seinem letzten Lebenstag umstanden seine Ehegattin und seine lebenden Kinder, ein Sohn und drei Töchter, und einige Freunde sein Bett, ohne daß man erwartet hatte, daß sein Ende schon vorhanden sei. Auf einmal sagte der Kranke: 'Da sind ja meine Söhne Julius und Rudolf. Sie sind gekommen, mich abzuholen; es ist aber noch etwas zu früh, ich muß vorher noch einmal sprechen.' Nun beschrieb er ihre herrlichen Gestalten, sagte, wie groß und schön sie geworden seien, und setzte sich, zum Erstaunen der Anwesenden, im Bett auf, so daß seine Gattin ihn fragte: 'Was willst du, lieber Mann, denn tun?', worauf er erwiderte: 'Ich muß jetzt noch einmal predigen.' Mit verklärtem Angesicht, mit Kraft und Begeisterung hielt er nun eine herzergreifende Rede, in der er die Anwesenden ermahnte, ihrem Erlöser treu zu bleiben, weil es außer ihm kein Heil gebe und wir nur durch ihn Gnade bei Gott, Vergebung unserer Sünden und die Seligkeit erlangen könnten. Darauf segnete er die Seinigen und die anderen Anwesenden, legte sich zurück und war verschieden." 10 Wilhelm Lehmann, 1.9.1772 - 14.3.1824, ab 1807 evang. Pfarrer in Lennep. 11 A. Stern: "Das Jenseits", Verlag der Missionsbuchhandlung P. Ott, Gotha 1912.

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