Das Fortleben nach dem Tode

- 27 - Beim zweiten Mal schon sind seine Konturen so scharf, daß ich glaube, er sei gar nicht gestorben. Er ist in ein schlichtes, weißes Gewand gekleidet. Er setzt sich zu mir aufs Bett und schildert mir resigniert die großen Schwierigkeiten, die auf mich zukommen würden. Schwierigkeiten würden sich wegen der Erbschaft ergeben, unsere im Ausland lebende Tochter würde der Grund eines lange andauernden Streites sein. Bei einem dritten nächtlichen Besuch fordere ich ihn auf, doch ins Wohnzimmer zu kommen, wo wir uns dann etwa 5 Minuten unterhalten können, immer über das gleiche bedrückende Thema, von dem sich doch in Wirklichkeit noch gar nichts gezeigt hatte. Bei diesem Gespräch trage ich ihm noch eine Bitte vor: 'Kannst du mir helfen, deinen Schlüsselbund zu suchen?' Ich muß beifügen, daß mein Mann in der Gemeinde verschiedene Ämter versah und deshalb u.a. auch einen Tresorschlüssel stets bei sich trug, dessen Verlust auch für die Leute der Gemeindeverwaltung unangenehm war. 'Mach dir deswegen keine Sorgen', sind seine letzten Worte, ehe er sich wie in Luft aufzulösen scheint. Einige Tage später, wiederum nach dem mir schon vertraut gewordenen nächtlichen Vibrieren, höre ich, wie jemand die Wohnungstüre aufschließt, in den Gang tritt, meine Schlafzimmertüre öffnet - und es ist mein Mann, der ins Zimmer kommt. Er geht zu jener Schublade, in welcher er gewöhnlich den Schlüsselbund versorgt hatte, öffnet die Schublade und legt für mich in normal hörbarer Weise den vermißten Schlüsselbund hinein. Ich stehe von meinem Bett auf, gehe auf ihn zu, danke ihm und schließe ihn in meine Arme - doch nur für kurze Zeit, denn nach wenigen Sekunden stehe ich allein da in der normalen Dunkelheit jener frühmorgendlichen Stunde. Er hat sich in meinen Armen aufgelöst und die vorübergehende Helligkeit mit sich genommen. Ein nächstes Mal sehe ich, wie er zur gewohnten Zeit direkt aus der Wand ins Zimmer tritt, zunächst in zarten Umrissen, doch sich rasch derart verdichtend, daß ich glaube, einen normal lebenden Menschen vor mir zu haben. Ich kann ihn anfassen, doch unser jeweils nur kurzes Gespräch dreht sich stets um das gleiche unerfreuliche Thema, das mir ja noch bevorstehen sollte. Tatsächlich beginnen drei Monate nach meines Mannes Tode die Erb-Auseinandersetzungen; ich glaubte, meine Töchter nicht mehr zu kennen. Noch einmal, im Februar 1977, also ein halbes Jahr nach seinem Tode, erscheint mein Mann ein vorläufig letztes Mal. Er trägt eine Schäferkleidung mit großem Hut, um seinen Hals eine lange Schärpe geschlungen, die er nun auszieht und auf den Tisch legt. In der Hand hält er einen großen Wanderstab. Ich nehme die Schärpe in die Hand, rieche an ihr einen Duft, als entstamme sie einer feuchten, modernden Höhle. Ich habe das Gefühl, als würde mein lieber Mann eine lange Wanderschaft antreten, schon seiner äußeren Aufmachung wegen, und so bin ich nicht überrascht, als er sagt: 'Du mußt jetzt selber fertig werden mit deinen Schwierigkeiten... Ich werde kaum mehr zu dir kommen können.' Und in den nächsten Sekunden ist er wie aufgelöst, samt der Schärpe, die er wieder an sich genommen hat. Das ganze Jahr war denn auch von der Erbschaftsangelegenheit überschattet, mein Mann kam nicht mehr bis zum Jahresbeginn von 1978, als er noch ein weiteres und letztes Mal erschien. Dabei brachte er gleich noch seinen 1969 verstorbenen Bruder sowie einen dritten, mir unbekannten Mann mit. Während dieser Unbekannte fast durchsichtig schien und teilnahmslos auf dem Bette saß, ging mein voll sichtbarer Mann vehement aufs Fenster zu, öffnete es, blickte gebannt auf das vor ihm liegende Gut und rief erregt: 'Das ist das Land meiner Familie!' (Es würde zu weit führen, hier die entstandenen familiären Differenzen aufzuzeigen, die diesen Ausruf verständlich erscheinen lassen.) Der ebenfalls in normaler menschlicher Gestalt erschienene Schwager setzte sich auf den Stuhl. Da ich in letzter Zeit verschiedene Erlebnisberichte von Verstorbenen gelesen hatte, die auf mediale Weise in der Geistigen Loge Zürich übermittelt worden sind, stellte ich ihm die Frage, ob er die Richtigkeit dieser Berichte bestätigen könne. Mein Schwager zögerte nicht mit seiner bestimmten Antwort: 'Ja, so ist es, es ist richtig, was du gelesen hast.' Und schon waren alle drei verschwunden, ich machte Licht, ging zum Fenster, um es wieder zu schließen, denn mein Mann hatte es offen gelassen."

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