Der Einfluss der Trauer auf Verstorbene

- 29 - Was waren das für Menschen? Ich hatte mich bisher kaum um sie gekümmert, wie alle Naziführer lehnte ich auch diese ab, wenn ich nur die Namen hörte. Vor einiger Zeit war ich die Theatinerstraße zum Odeonsplatz herunter gegangen., als ich plötzlich auf das lebensgroße Bildnis Ernst Röhms stieß. Er war früher Offizier gewesen, ein energisches Gesicht voller Narben blickte herrisch auf die Vorübergehenden. Ich blieb davor stehen und dachte bei der Betrachtung der Photographie, wie unsympathisch mir alle diese Leute doch seien. Da war es, als tadle mich eine innere Empfindung, als spürte ich eine gewisse geistige Helle von dem Bild ausgehen. Bei näherem Zusehen lag neben aller Herbheit und Unerbittlichkeit auch Güte in den Augen des durch die Narben entstellten Antlitzes. 'Wenn diese geistige Ausstrahlung wirklich die von Ernst Röhm sein sollte, wäre er ja gar nicht so schlimm', sagte ich mir. Aber dann schob ich diesen Gedanken wieder beiseite: 'Ach was, alle diese Naziführer sind im Grunde die gleiche widerliche Gesellschaft.' Und ich setzte meinen Weg fort, ohne weiter über die Sache nachzudenken. Ernst Röhm war einer der Verhafteten. Die Zeitungen feierten das energische Vorgehen des Führers, der sein Volk wieder einmal im letzten Augenblick durch sein 'blitzschnelles Handeln vom Abgrund zurückgerissen' hatte. Die erst vor kurzem noch gefeierten SA-Führer, denen gegenüber eine abfällige Bemerkung jeden Unvorsichtigen in die Hände der Gestapo geliefert hätte, wurden nun auf einmal mit dem Ausdrucke des Abscheus als 'Schufte', 'Hochverräter' und ähnlich bezeichnet. Ich war trotz aller Gegnerschaft tief erschüttert. Was war geschehen? Hatte die Presse recht? Was wollten jene Männer? Daß mit ihnen so verfahren wurde, ließ vermuten, daß tiefe Differenzen zwischen ihnen und Hitler bestanden, - aber weshalb? Worüber? Der folgende Tag war ein Sonntag. Ich nahm am Nachmittag an einem Ausflug der Christengemeinschaft (der religiöse Zweig der Anthroposophischen Gesellschaft) teil. Wir gingen das Isartal hinauf und lagerten uns im Gras einer Waldlichtung. Die anderen plauderten, als sei nichts geschehen. Doch in mir zitterte die Erregung über das Vorgefallene nach. Wie erging es jetzt den Verhafteten? Ich fragte einen jungen Arbeiter, mit dem ich mich bei solchen Ausflügen oft unterhielt, nach seiner Meinung über das Geschehene: 'Diese SA-Führer waren die Schlechtesten nicht', sagte er, 'sie waren immerhin besser, als die anderen und haben es mit dem Volk ehrlich gemeint. Das hat denen wohl nicht gepaßt, und so haben sie daran glauben müssen!' Am nächsten Morgen hieß es dann, die Haupträdelsführer seien kurzerhand erschossen worden. Warum? Weshalb hatte man sie nicht vor Gericht gestellt und ihnen Gelegenheit gegeben, sich zu verteidigen, - sie, die doch eben erst zu den vertrautesten, gepriesensten Freunden der Regierung gehört hatten? Niemand konnte mir eine Antwort auf diese Fragen geben. Am folgenden Dienstag, dem 3. Juli, nahm ich morgens in der Privatwohnung des Priesters Dr. Heisler an der "Menschenweihehandlung" der Christengemeinschaft teil. Die Zeremonie hatte noch nicht begonnen, und ich mußte immer wieder an Röhm und die mit ihm Erschossenen denken. Wo mochten sie jetzt sein, und wie hatten sie sich wohl in ihren neuen Zustand gefunden, sie, die so gänzlich unerwartet in der Blüte ihres Lebens plötzlich hinweggerissen worden waren, ohne sich vorbereiten zu können? Da, plötzlich, spürte ich in meiner Nähe jene starke, geistige Ausstrahlung, die ich damals vor dem Bild Ernst Röhms empfunden hatte. Und ebenso, wie ich bei der inneren Verbindung mit mir Nahestehenden deren Gedanken zuweilen auffing, vernahm ich nun plötzlich innerlich die empörten Worte: 'Ich bin kein Schuft, ich bin kein Schuft! Ich habe das Beste gewollt. Vielleicht habe ich geirrt. Irren ist menschlich, aber ein Schuft bin ich nicht.' Ernst Röhm?! War er es, hatte er meine Gedanken gefühlt und war dadurch angezogen worden? Ich versicherte ihm innerlich, daß ich gerne glauben wollte, was er sagte, daß ich mich weiter erkundigen wollte, was er eigentlich erstrebt habe. Aber, fügte ich hinzu, er werde verstehen, daß ich mir aus den Zeitungen kein klares Bild verschaffen konnte, und daß es jetzt, bei der allgemeinen Empörung gegen ihn, auch nicht leicht sei, dies zu tun. Aber ich versprach ihm, daß ich mich bemühen wolle, mir ein objektives Urteil zu bilden. Der Priester trat ein, und ich bat Röhm in Gedanken, nun mit mir auf das zu achten, was dieser sagte und tat. Zugleich rief ich alle geistigen Lichtmächte und mir nahestehenden Verstorbenen auf, Röhm und seinen Kameraden zu helfen, sich drüben zurechtzufinden.

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