Der Einfluss der Trauer auf Verstorbene

- 31 - Allerheiligen kam. Gleich am Morgen beim Aufwachen hatte ich wieder das Gefühl der mächtigen Nähe von Ernst Röhm. Er schien einen Wunsch zu haben, sich aber nicht mehr so leicht in innerlich vernehmbaren Worten mit mir verständigen zu können, wie in den ersten Tagen nach seinem Tode. Was wollte er nur? Nun verstand ich es plötzlich: Eine Kerze! Es war doch Allerheiligen, da pflegten die Katholiken ja Kerzen für ihre Toten anzuzünden. War er denn katholisch gewesen? Ich wußte es nicht, und auch nicht, was bei diesen Gebräuchen alles zu beachten war. Ich ging zur Weihehandlung in die Christengemeinschaft und fragte eine übergetretene Katholikin, wie das eigentlich sei mit der katholischen Sitte, Kerzen für Verstorbene zu verbrennen. 'Ja', sagte diese, 'man muß eine geweihte Kerze nehmen und diese entweder am Grab oder in der Kirche oder auch zu Hause mit Gebeten für den Verstorbenen anzünden.' Ich wußte jedoch damals noch nicht, wo sich das Grab von Ernst Röhm befand, und ihm zu Hause eine Kerze zu weihen schien mir ebenfalls nicht das Richtige zu sein. Also war es wohl das Beste, in einer Kirche eine Kerze für ihn zu stiften. Hier in der Christengemeinschaft kannte man solche Gebräuche nicht. Also beschloß ich, anschließend in die Frauenkirche zu gehen. Sie dünkte mich die schönste Kirche Münchens, das würde ihm wohl recht sein! Ein Priester der Christengemeinschaft hielt eine Totengedenkhandlung ab. Er erzählte viel Erbauliches von verstorbenen Gemeindemitgliedern. - Röhm war offenbar enttäuscht, daß er mit keinem Wort der Opfer des Blutbades - wenn auch nur indirekt - gedachte, das erst vier Monate vorher stattgefunden hatte. Er schien mich fast verwundert zu fragen, warum 'wir' eigentlich hier teilnehmen. Sobald der Priester fertig war, eilte ich in die Frauenkirche - dort wurde über den Heldenmut der heiligen Märtyrer und das Blut, das sie für ihren Glauben vergossen hatten, gepredigt. Ich fühlte, daß Röhm mit Begeisterung zuhörte. Das war wohl eher nach seinem Sinn. Nun wollte ich ihm aber auch die versprochene Kerze bringen. Aber woher sollte ich solche nehmen? Ich versuchte es in der Sakristei und bat den Mesner um eine geweihte Kerze für einen Verstorbenen, die ich auf einem Altar stiften wollte. Der Mesner holte sogleich eine Kerze und fragte, auf welchen Altar sie kommen sollte. Auf diese Frage war ich nicht vorbereitet. Ich wußte ja nicht Bescheid über die verschiedenen Altäre und ihre Bedeutung. Ich war ganz verwirrt. Da fragte der Mesner: 'Darf es nicht der Muttergottes-Altar sein?' - Muttergottes! Bei diesem Wort schien es wie ein Jubelruf von Röhm zu mir zu dringen, und ich sagte schnell: 'Ja, ja, auf den Muttergottes-Altar!' Dann ging ich heim, und am nächsten Tag war mir, als spüre ich Ernsts große Freude und Befriedigung." Gerda Walther hatte in der Folgezeit eine Reihe weiterer Erlebnisse mit Ernst Röhm. Über diese berichtete sie auch in Vorträgen, wobei sie allerdings Röhms Namen verschwieg und ihn unter der Tarnbezeichnung eines verunglückten Bergführers vorstellte. Über solch einen Vortrag berichtet sie (19, S. 540): "Im Jahre 1937 war ich in Holland zu Vorträgen eingeladen. Am 13. April befand ich mich nachmittags zum Tee bei einem Vorstandsmitglied der Abteilung Amsterdam der 'Studienverenigung voor Psychical Research', Dr. Hermann Wolf (Emigrant aus Köln). Auch Prof. W. H. C. Tenhaeff war anwesend. Man hatte ferner den niederländischen Hellseher Herrn E. Benedikt eingeladen, ohne ihm jedoch vorher zu sagen, daß ich, die am 17. und 18. sprechen sollte, auch geladen war. Ebenso wußte ich nichts von Herrn Benedikt. Aber selbst wenn er schon von mir gehört haben sollte, wäre er doch mit der wahren Geschichte des 'Bergführers' nicht vertraut gewesen. So war ich beim Eintritt für ihn irgendeine fremde Dame. Obwohl mir beim Vorstellen der Namen 'Herr Benedikt' nicht das Geringste besagte, da ich ja nichts über ihn erfahren hatte, fühlte ich doch sogleich, wie eine starke seelische Strömung von diesem Mann ausging. 'Es ist jemand mit Ihnen gekommen', sagte er, 'ein dicker Mann mit einer Narbe quer über das Gesicht. .. Warten Sie, ich höre ein Wort: Rom, Rom. 'Aber nicht die Stadt', sagt er. Er deutet auf sich: 'Rom, das bin ich!' Und jetzt erhebt er eine Schußwaffe und zeigt sie mir. - Wissen Sie vielleicht, was das bedeutet?' 'Er ist erschossen worden', sagte ich, 'soviel ich weiß in seiner Gefängniszelle. Seine Henker waren zu feige, ihn herauszuholen und ordnungsgemäß hinzurichten.' Im Vortrag erzählte ich dann die Geschichte des 'Bergführers'. Als ich geendet hatte, fragte Herr Benedikt, der sich unter den Zuhörern befand, ob der 'Bergführer' eine von innen aufgehellte, graue Ausstrahlung

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