Engel als Boten Gottes und Helfer der Menschen

- 21 - meines Bettes vorbeigehen und das Fenster "öffnen. Er litt an Asthma und war ein Mann von 70 Jahren. Er hatte gerade wieder einen seiner schweren Asthmaanfälle. Für mich war dies nichts Schreckhaftes mehr. Als ich nun so meinem Vater nachschaute, gewahrte ich im Blickwinkel meiner Augen, daß noch jemand im Zimmer war. Schnell drehte ich den Kopf nach links in Richtung des Bettes meines Vaters und sah dort ein Wesen stehen, das, wie ich mit Schrecken erkannte, kein Mensch war. Es war eine kleine schwarze Jünglingsgestalt in einem schwarzen Umhang. Solch eine tiefe Schwärze hatte ich niemals vorher gesehen. Der Kopf hatte die Struktur eines Totenschädels. Dagegen war das Gesicht lebendig, mit scharfen Gesichtszügen geprägt. Die Zähne leuchteten in einem gelblich-roten Glanz, wobei jeder einzelne Ober- und Unterzahn scharf zu unterscheiden war. Ich war wie gelähmt, konnte nicht sprechen und spürte, wie alle Kraft aus mir wich. Auf dem Kopf trug die Gestalt eine Art Mütze, die oben eine Verzierung wie lauter Dreiecke hatte. An der Stirn lag diese Mütze wie ein Diadem an und hatte die Struktur zweier ineinander verschlungener Schlangen oder eines dicken Mädchenzopfes. Diese Kopfbedeckung ragte an beiden Seiten weit hinaus und war leicht wie die Mondsichel gebogen. Mein Vater ging mehrmals an der Gestalt vorbei, und jedesmal, wenn er sie passierte, war er in ein gelbrotes Strahlenbündel getaucht. Jedesmal, wenn mein Vater wieder in sein Bett ging, setzte ich mich auf und faßte Mut, doch ich konnte nicht sprechen. Ich sah deutlich, wie die Gewandfalten des Wesens das Nachtschränkchen am Bette meines Vaters zur Hälfte bedeckten und wie diese Falten eine Uhr berührten. Das Kleid war wunderbar wie Marmor gefaltet und unten wie eine Wolke gegen das Bett meines Vaters vorgelagert. Ich wäre gerne aus der Türe gerannt, um die Nachbarn zu rufen, doch die Gestalt stand etwa zwei Meter von der Türe entfernt, und ich hatte schreckliche Angst. Das Ganze sah ich etwa eine halbe Stunde. Da kam mir plötzlich der Gedanke, Vater müsse sterben und diese Erscheinung sei das Vorzeichen. Voller Angst zog ich mir die Bettdecke über den Kopf und verharrte so eine Zeitlang. Als ich dann mal wieder unter der Decke hervorlugte, war die Gestalt verschwunden. Schweißgebadet rannte ich zur Schule und erzählte meinen Mitschülern und Lehrern mein Erlebnis; doch von allen wurde ich ausgelacht. Als ich nach Hause kam, sagte mein Vater, dem ich von dem Erlebnis noch nichts erzählt hatte, er müsse mir eröffnen, daß er bald sterben werde. Er hätte heute morgen im Zimmer etwas gesehen, das er mir aber nicht sagen wolle, damit ich mich nicht fürchte. Daraufhin erzählte ich ihm alles, was ich gesehen hatte. Er sagte nur: 'Nun ja, das war der Todesengel.' Nun aber kommt das Interessanteste: Die Stelle an der Wand im Schlafzimmer, an der die Gestalt gestanden hatte, war ganz blauschwarz verfärbt, und der Abdruck der ganzen Gestalt war zu sehen, genau an der Uhr herab, wie ich die Erscheinung in den Morgenstunden gesehen hatte. Nur war jetzt im Bild der Unterkörper zur Tür gedreht, und das Gewand erschien schwebend, wie ein Engel im Flug. Das volle Angesicht war im Abdruck zu sehen, geradeso, als wenn die Gestalt den Kopf drehen würde. Nur bei der Kopfbedeckung waren die Ornamente verwischt, wenn auch die Form deutlich zu sehen war. Der Abdruck war dreidimensional, also wie lebendig anzusehen. Mein Vater und ich sprachen nie mehr über dieses Erlebnis. Niemand durfte mehr das Schlafzimmer betreten. Die Tapete wurde später abgerissen. Doch lange Zeit noch mußte ich an dieses Bild denken. Ein Jahr danach starb mein Vater. Nach dem Gottesdienst sprach mich plötzlich ein mir völlig fremder Herr an und erkundigte sich nach meinem Ergehen. Er wollte möglichst sehr genau über die letzten Lebenstage meines Vaters Bescheid wissen. Ich erzählte ihm das Erlebnis mit dem Todesengel an jenem Morgen. Ich hatte schon Angst, er könnte mich auslachen, doch er sagte nur: 'Ich glaube es nicht nur, sondern ich bin davon überzeugt, daß du dies alles gesehen hast. Ich habe deinen Vater besser gekannt als du selbst. Dein Vater gehörte einer Geheimgesellschaft (Loge) an.' Dieses Erlebnis ist heute noch so stark in mir wach, so daß ich bei jedem Totenbesuch erst an die Wand blicke, ob dieser Todesengel oder sein Abdruck auch dort zu sehen sind. Aber niemals wieder begegnete ich ihm oder seinem Bild. W. Thielefeld in W."

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