Ist unser Schicksal festgelegt?

- 12- 2.5 Schlußbetrachtung aus physikalischer Sicht Die Willensfreiheit wurde bislang unter den Gesichtspunkten physikalischer Gesetzmäßigkeiten und der darin eingebauten Fragen der Informationsverarbeitung betrachtet. Es wurde dargelegt, daß Ablauf physikalischer Gesetze bei Lebensvorgängen und Prozessen der Willensentscheidung nicht absolute und vorhersehbare Zwangsläufigkeit und völlige Determiniertheit bis in Jahrtausende hinein bedeutet. Es wurden die Grenzen des Kausalitätsbegriffes, ganz besonders in der Mikrophysik, aufgezeigt. In diesem Zusammenhang soll noch die Meinung des Physikers Pascual Jordan12 zitiert werden. Er schreibt: "Die 'Quantenmechanik', welche diese gesetzlichen Zusammenhänge vollständig und in umfassendster Weise feststellt, lehrt uns ferner, daß unsere Unfähigkeit, über das statistische Gesetz hinausgehend auch den Einzelfall vorauszusehen, nicht etwa auf einer Unzulänglichkeit unseres Wissens (die später einmal behoben werden könnte) beruht: Es besteht hier in dem Geschehen an einzelnen Atomen eine wirkliche 'Freiheit'13, die etwas ganz Neues gegenüber allen älteren naturwissenschaftlichen Vorstellungen ist. Dieses Ergebnis der modernen Physik bringt eine völlig veränderte Lage im Verhältnis von Religion und Naturwissenschaft. Wir wollen ganz darauf verzichten, an dieser Stelle der weiteren philosophischen Erörterung vorzugreifen: Es mag genügen, gezeigt zu haben, daß die Problemlage, aus der die Möglichkeit einer antireligiösen Verwertung der Naturwissenschaft entstand - und für welche Kant eine scharfsinnige, dem Materialismus bestimmte Grenzen ziehende Lösung versucht hat - einfach nicht mehr vorhanden ist, nachdem die Vorstellung des absolut zwangsläufigen Naturgeschehens durch das physikalische Experiment selber widerlegt worden ist. Es könnte zwar scheinen, daß die Hoffnung auf eine hier sich ankündigende neue Harmonisierung von Religion und Naturwissenschaft zu schwach begründet sei, wenn die im Naturgeschehen entdeckte 'Freiheit' nur für Atome und Elektronen gilt, während für große aus vielen Atomen zusammengesetzte Körper doch die alte Kausalitätsvorstellung in Kraft bleibt. Aber es hat sich in den letzten Jahren der 'Quantenphysik' eine 'Quantenbiologie' an die Seite zu stellen begonnen, welche aus biologischen Experimenten die Erkenntnis abgeleitet hat, daß lebende Organismen in ihren Reaktionen weitgehend abhängig sind von Prozessen äußerster Feinheit - solcher Feinheit nämlich, daß es sich dabei geradezu um Einzelreaktionen einzelner Moleküle handelt: Diese Abhängigkeit des Lebensgeschehens von 'steuernden' Vorgängen, die ihrerseits der Kausalität der physikalischen Grobgebilde nicht mehr unterstehen, entzieht die biologischen Erscheinungen grundsätzlich der lückenlosen mechanischen Kausalität. Wie immer man denken mag über die endgültige Bewertung, welche die berührten neuen naturwissenschaftlichen Erkenntnisse in Zukunft einmal finden werden - niemand wird die Tatsache aus der Welt schaffen können, daß durch diese neuen Erkenntnisse die alten großen Probleme eines Jahrhunderte erfüllenden Ringens zwischen Naturwissenschaft und Religion völlig neu aufgerollt sind."14 2.6 Präkognition und Vorherbestimmung Zum Schluß dieser Abhandlung sollen noch parapsychologische Gesichtspunkte der Willensfreiheit und Vorherbestimmung behandelt werden. Wenn zwar die Physik nach den heutigen Erkenntnissen und Anschauungen keine absolute Vorherbestimmung annimmt, so könnte doch die Tatsache, daß in der Parapsychologie die Präkognition bekannt ist, zu der Annahme verleiten, daß eben doch alles Geschehen exakt vorherbestimmt ist. Schließlich gibt es ja in der Parapsychologie Vorhersagen, die sich über Jahrzehnte oder gar Jahrhunderte erstrecken und in allen vorhergesagten Einzelheiten endlich eintreffen. Aber treffen sie wirklich alle in sämtlichen Einzelheiten ein? 12 P. Jordan, geb. 1902, Prof. für theoretische Physik in Hamburg. 13 Freiheit im Sinne des nicht Voraussehbaren, Anm. d. Verf. 14 P. Jordan, Die Physik und das Geheimnis des organischen Lebens, Verlag F. Vieweg, Braunschweig 1947, S. 155.

RkJQdWJsaXNoZXIy MjI1MzY3