Das Fortleben nach dem Tode

- 48 - der Tonmeister mit seinen Aufnahmegeräten. Wir versammelten uns in dem Zimmer, wo ich arbeite. Ich brachte Tee und wartete, ob etwas geschehen würde. Schon nach wenigen Minuten erschien Liszt, verläßlich wie immer. Er sah sehr ruhig und gefaßt aus und sagte in seiner ein wenig viktorianisch und pedantisch wirkenden Art, er wolle versuchen, mir ein neues Musikstück zu übermitteln. 'Wenn möglich, etwas ganz Besonderes', sagte ich zu ihm, und er lächelte wissend. Bis dahin hatte mich Liszt seine Musik zuerst hören lassen, entweder in meinem Kopf oder indem er meine Hände auf dem Klavier lenkte. Diesmal sollte ich das Musikstück nach seinem Diktat niederschreiben. Ich sollte die Noten sofort auf Notenpapier niederschreiben, obwohl ich am Klavier saß. Zuerst gab er mir den Notenschlüssel. (Bild 11) 'Es sind sechs Kreuz', sagte er, 'der Takt ist 5/4 für die rechte Hand und 3/2 für die linke.' Das war sehr schwer. Verärgert wandte ich mich um und sah, daß er selbstzufrieden lächelte. Ich erklärte Geoffrey Skelton, was für Anweisungen ich erhalten hatte, und sagte: 'Es ist wirklich nicht sehr schön von ihm, daß er mir in Ihrer Gegenwart etwas so Kompliziertes übermitteln will.' Bis dahin hatte er mir noch nie so schwierige Musik übermittelt. Früher waren seine Stücke wohl manchmal schwer zu spielen gewesen, aber meist im 3/4 oder 4/4 Takt, also nichts Kompliziertes. 'Versuch es nur,' meinte Liszt beruhigend, 'mach schon.' Er wirkte so sicher, daß auch ich neuen Mut schöpfte. Nun gut, dachte ich, so soll's sein, und dann ging es los. Zunächst diktierte er mir vier Takte für die linke Hand und dann für die rechte. Alles wirkte unzusammenhängend. Die Oberzeile schien sehr lang zu sein, die Akkorde sahen merkwürdig aus, und es wimmelte von Versetzungszeichen. Nachdem ich etwa zwanzig Takte niedergeschrieben hatte, wurde ich besorgt. Ich kann mir nämlich nicht vorstellen, wie Musik klingt, wenn ich nur die Noten sehe, und ich dachte mir: 'Wie soll das klingen? Es sieht sehr merkwürdig aus. Das kann doch nicht stimmen.' Also bat ich Liszt, einen Augenblick innezuhalten, und sagte zu Geoffrey Skelton: 'Macht es Ihnen etwas aus, wenn ich erst einmal versuche, das zu spielen?' Er hatte nichts dagegen, aber die Noten waren für mich viel zu schwierig, als daß ich vom Blatt hätte spielen können. Ich konnte einfach nicht gleichzeitig im 5/4 und im 3/2 Takt spielen und kam immer mehr durcheinander. Ich versuchte mir den Takt am Rande auszurechnen, aber das half auch nicht viel. Dann fragte Geoffrey Skelton, ob ich was dagegen hätte, wenn er es einmal versuchte. Bild 11: Die ersten Takte des von Franz Liszt 1969 an Rosemary Brown übermittelten Musikstückes "Grübelei". Entnommen (13, S. 29).

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