Das Buch der Geister

- 156 - Antwort: Der Mensch, der darauf angewiesen ist, um Almosen zu bitten, erniedrigt sich physisch und moralisch. In einer auf das Gesetz Gottes und der Gerechtigkeit gegründeten Gesellschaft soll für das Leben des Schwachen gesorgt sein, ohne Erniedrigung und Demütigung für ihn, ohne ihr Leben dem guten Willen anderer preiszugeben. Frage: (987) Tadelt ihr das Almosengeben? Antwort: Nein, nicht das ist tadelnswert, sondern die Art, wie es oft gegeben wird. Der gute Mensch, der die Nächstenliebe im Sinne Jesu versteht, kommt dem Unglück und der Not zuvor und wartet nicht, bis es ihm die Hand entgegenstreckt. Man muß das Almosengeben von der eigentlichen Wohltätigkeit gut unterscheiden. Wer bettelt, ist oft der Bedürftigste. Den wirklich Armen hält die Furcht vor Demütigung zurück, und oft leidet er ohne zu klagen. Diesen versteht der wahrhaft Menschliche ohne Prahlerei aufzufinden. Liebet einander ist das ganze Gesetz, das göttliche Gesetz, mit dem Gott die Welten regiert. Die Liebe ist die Anziehungskraft für die lebenden und die organischen Wesen. Und die Anziehungskraft ist das Gesetz der Liebe für den unorganischen Stoff. Frage: (988) Gibt es nicht auch Menschen, die durch ihre eigenen Fehler in Armut fallen? Antwort: Gewiß, aber wenn eine gute sittliche Erziehung sie das Gesetz Gottes gelehrt hätte, wären sie nicht in Ausschreitungen verfallen, die schließlich ihren Untergang herbeiführen. Frage: (989) Ist die Mutterliebe eine Tugend oder ein Menschen und Tieren gemeinsames instinkt- artiges Gefühl? Antwort: Sie ist das eine wie das andere. Die Natur schenkte der Mutter die Liebe zu ihren Kindern zu ihrer Erhaltung, bei den Tieren aber bleibt diese Liebe auf die stofflichen Bedürfnisse beschränkt. Sie hört auf, wenn die Pflege unnötig wird. Beim Menschen dauert diese Liebe das ganze Leben hindurch. Frage: (990) Da die Mutterliebe in der Natur begründet ist, warum gibt es dann Mütter, die ihre Kinder oft von der Geburt an hassen? Antwort: Das ist zuweilen eine vom Geiste des Kindes gewählte Prüfung oder auch eine Sühne, wenn es selbst ein schlechter Vater, eine schlechte Mutter oder ein schlechtes Kind gewesen. Eine schlechte Mutter kann nur von einem bösen Geist beseelt sein, der den des Kindes zu schädigen strebt, damit er in seiner Prüfung unterliegt. Frage: (991) Wenn Kinder den Eltern Kummer bereiten, sind sie dann nicht zu entschuldigen, wenn sie für die Kinder keine große Liebe fühlen? Antwort: Nein, denn es ist dies eine ihnen anvertraute Aufgabe und ihre Sendung ist es, alles zu tun, um sie zum Guten zu führen. Oft ist dieser Kummer Folge einer bösen Tat: Die Eltern ernten dann, was sie einst gesät haben. Die sittliche Vervollkommnung Frage: (992) Welches ist die verdienstvollste aller Tugenden? Antwort: Alle Tugenden sind verdienstvoll, weil sie alle Zeichen des Fortschrittes auf der Bahn des Guten sind. Die verdienstvollste ist wohl die der selbstlosen Nächstenliebe. Frage: (993) Es gibt Leute, die das Gute um seiner selbst willen tun. Haben nun diese ebensoviel Verdienst wie jene, die gegen ihre eigene Natur kämpfen und sie erst überwinden müssen? Antwort: Bei denen, die nicht zu kämpfen haben, hat sich der Fortschritt schon früher erfüllt. Sie haben früher schon gekämpft und überwunden, darum kosten ihnen die guten Gefühle keine Anstrengung und ihre Handlungen erscheinen ihnen einfach und ganz selbstverständ-

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